HEIMAT BUCH MEILEN 1963 Das Landgut Mariafeld im Jahre 1835 Gemälde von Rud. Bühlmann Links hinter der Platane das Lehenhaus mit Mansarddach; links vom Haupthaus der Saalbau, mit Schleppdach verbunden; die Freitreppe im Garten rechts, daneben ein kleines Paar, David v Wvss d.i. mit Frau; rechts aussen das heutige Zellerhaus; das Ufer noch ohne Seestrasse; die Stützmauer mit Brüstung. (Familienbesitz Mariafeld) Heimatbuch Meilen 1963 Herausgeber und Redaktion: Vereinigung Heimatbuch Meilen INHALTSVERZEICHNIS 1. Vorwort Walter Weber 3 2. Unsere Autoren 4 3. Heimatbuch-Veikaufsstatistik 4 4. Mariafeld-Meilen Jürg Wille 5 5. Erlebnisse um General Wille Paul Meier 91 6. General Wille und die Heimat Edgar Schumacher 98 7. Erinnerungen eines jungen Meileners an den Ersten Weltkrieg Arnold Glogg 107 8. Zur Geologie der Molasse zwischen Zürichsee und Pfannenstiel Nazario Pavoni 115 9. Walter Gessner 139 10. Rainer Maria Rilke als Gast in der «Unteren Mühle» zu Meilen Charles Wunderly 147 11. Gedichte von Rainer Maria Rilke 151 12. Aus dem Leben unserer Gemeinde Chronik vom 1. Oktober 1962 bis 30. September 1963 Hans Walther 152 13. Totentafel 161 14. Statistisches über Meilen 165 ILLUSTRATION Einband: Harald Egli, Grafiker, Bruechstr. 151, Meilen. — Zeichnungen zu S. 91—114: Willy Bolleter, Grafiker, Trautheim, Meilen. — Illustrationen zu «Mariafeld» : Dr. Jürg Wille, Gattikon. — Zeichnungen und Photos zur Geologie der Molasse: Dr. N. Pavoni. — Clichés zu «Walter Gessner» von Hrn. Guido Fischer, Konservator am Aargauischen Kunsthaus Aarau (S. 141, 143, 144), Photo S. 145 vom Kunsthaus Zürich. — Photos zu R, M. Rilke von Dr. Ch. Wunderly, zur Seegfrörne von Photograph W. Fröhlich, Kirchgasse, Meilen, der Plastiken S. 156—157 von W. Winter. — Druck: H. Ebner, Meilen. — Buchbinderarbeit: Baumann & Co., AG, Erlenbach ZH. Der Vorstand der Vereinigung Heimatbuch Meilen: Präsident: Walter Weber-Glogg, Sekundarlehrer, Rebweg 4 Vizepräsident: Dr. iur, Jakob Widmer, Gemeinderat, Glärnischstrasse 20 Aktuar: Georg Pfäff, alt Sekundarlehrer, Burgstrasse 24 Quästor: Ernst Pfenninger-Egli, Lehrer, Grueb Beisitzer: Arnold Altorfer, Präsident der Mittwochgesellschaft Meilen, Schulweg 15 Hans Walther, Redaktor, Bünishoferstrasse Walter Winter, Sekundarlehrer, Bergstrasse 2 VORWORT Unser viertes Heimatbuch erscheint an der Schwelle zum Jahre 1964, in dem sich ein halbes Jahrhundert vollendet seit dem Ausbruch des 1. Weltkrieges. Ins Zentrum unseres Büchleins stellen wir darum Erinnerungen an unser Land und an Meilen während der Schicksals- jähre 1914-18, besonders aber an den Mann, der damals die schwere Verantwortung eines Oberkommandierenden der schweizerischen Armee trug, an den Meilener Ehrenbürger General Ulrich Wille, und an sein Heim Mariafeld. Aufrichtig freut uns, dass ein Enkel des Gene- rals mit starker persönlicher Anteilnahme über dieses Haus und seine Besitzer schreibt und uns dazu eine reiche Illustration vermittelt. Ebenso freuen wir uns, dass wir seiner Erzählung drei Beiträge zum gleichen Themenkreis von drei in den Aktivdiensten beider Weltkriege bewährten Schweizeroffizieren folgen lassen können. Zeichnerisch ergänzen und gestalten die beiden Meilener Graphiker Harald Egli (Umschlagsbild) und Willy Bolleter (Zeichnungen Seiten 91-114) das Bild jener Zeit. Die genannte Gruppe von Beiträgen beansprucht allerdings viel mehr Raum, als vorgesehen war. Es mussten darum verschiedene Arbeiten zurückgestellt werden, darunter eine fertig vorliegende ge- schichliche Studie von Ernst Pfenninger über das Dörflein Bünis- hofen. Nicht verzichten wollten wir auf die Bereicherung durch Beiträge aus ganz andern Sachgebieten und auf die Vorstellung eines Meilener Küstlers; den Autoren eines geologischen und eines literarischen Beitrages wissen wir Dank für ihre Arbeiten, wie Herrn Gessner für das Reproduktionsrecht zu einigen Bildwiedergaben. Die Kürzung des aktuellen Teils kann nächstes Jahr ausgeglichen werden. Wie die kurze Statistik auf der nächsten Seite zeigt, dürfen wir mit dem Verkauf des Heimatbuches 1962 zufrieden sein und ergab sich ein kleiner Vorschlag. Immerhin sind wir auf die Treue der bisherigen Freunde des Heimatbuches und auf die Gewinnung neuer Abnehmer sehr angewiesen, sollten doch wesentlich mehr Mittel zu Verfügung stehen, um bei gleichem Preis den erwünschten reichern Ausbau, vor allem in illustrativer Hinsicht, zu ermöglichen. Mit dem Wunsche, auch das diesjährige Bändchen werde dazu beitragen, die Kenntnis unserer Heimat unter den Dorfgenossen zu verbreitern und die Liebe zu ihr zu vertiefen, übergeben wir das ((Heimatbuch Meilen 1963» der Oeffentlichkeit. Anfangs Oktober 1963 W. Weber 3 UNSERE AUTOREN Seite Dr. Jürg Wille, Sihlhaldenstrasse 165, Gattikon ZH 5 Paul Meier, a. Lehrer, Bahnhofplatz, Stäfa 91 Alt-Oberstdivisionär Dr. Edgar Schumacher, Bolligen bei Bern 98 Arnold Glogg, a. Gemeindepräsident, Obermeilen 107 Dr. Nazario Pavoni, Geolog, Hofernweg 15, Adliswil ZH 115 Dr. ing. Charles Wunderly, Winkelstrasse 15, Meilen 147 Hs, Walter, Redaktor, Bünishoferstrasse, Feldmeilen 152 Für das Reproduktionsrecht seiner Gemälde und Zeichnungen danken wir Kunstmaler Walter Gessner, Rainstr. 355, Feldmeilen. KLEINE STATISTIK UEBER DEN VERKAUF DES HEIMATBUCHES MEILEN 1960 1961 1962 Auflage 2 000 2 300 2 100 Verkaufte Bücher bis September 1668 1 733 1 699 Durchschnittlicher Erlös Fr. 4.83 6.93 6.81 Gesamtausgaben Fr. 8 292.55 11976.75 11484.65 Gesamteinnahmen Fr. 8 055.75 12 035.50 11 863.95 Rückschlag / Vorschlag Fr. — 236.80 + 58.75 + 379.30 4 MARIAFELD - MEILEN EineSkizze von Wille Dem Familienältesten,Oberstlt.A. Wille zum 85. Geburtstag herzlich zugeeignet. «Von Herrliberg kommet man in einer starken halben stund, über den Rossbach für eine Oehltrotten vorbey, die das erst Haus, so in die Gemeinde Meilan gehöret, durch Bünishofen, (welches vor zeiten einen eignen Burgstahl gehabt), in das Meiler-Feld, allwo mein Geliebter Vatter, gleich ob dem Haus zum Christophel, ein Landgut hat, darbey ein Haus, welches, wie wolen es nicht schön, jedoch kommlich. Dises Orth ward vor altem «Auf dem Romenscheur» genennet, und wachset daselbst under den guten weissen Weinen nicht der minste, den unter- schiedenliche gute Fründe mit mir zum öfteren versucht haben. Es ist in diser Gegend offtmahlen lustig zusehen, wie auf dem See, die Schiffe in vollem Lauff zu einer Zeit gegen und neben einander vorbey seglen; wann aber die einte Parthey ein wenig bas obsich, die andere aber nidsich bis zu dem Rossbach kommet, müssen alsdann beide Theile wegen starcken Gegenwindes die Segel widerum abhin lassen.» So schrieb Junker Hans Erhard Escher vom Luchs für seine Beschreibung des Zürichsees, die 1692, 3 Jahre nach seinem Tod - er starb 34-jährig «in dem Blust seines Althers» - erschien.1 Das Landgut des Vaters ist das heutige Mariafeld und es berührt eigenartig, wie der Text nahezu unverändert auf die Gegenwart übertragen werden könnte, trotz der dazwischenliegenden 270 Jahre. Auch ich schickte mich an, über das Landgut meines verstorbenen Vaters zu berichten2; auch heute noch liegt das alte Haus ob dem Christoffei - den mein Vater zu Mariafeld hinzuerwerben konnte - und ist auch bei unserer Generation nicht seiner klassischen Schönheit, sondern seiner Behaglichkeit wegen beliebt; noch wächst der Wein am Haus und an den rückwärtigen Hängen, und weiterhin spielt der Wind den Seglern sein Schnippchen an dieser markanten Seebiegung. Und doch, wie vieles hat sich im Lauf der Jahrhunderte verändert, wie stark hat sich Zürich auf beiden Seeufern ausgebreitet, langsam aber stetig wachsend, aus der Stadt am See eine Stadt um den See zu werden! Die Geländebeschaffenheit lässt vermuten, dass die Stelle, wo heute Mariafeld steht, schon in frühester Zeit besiedelt war. Denkt man sich die heutige Bebauung, Bepflanzung und Aufschüttung der Umgegend weg, so wird die Südwestecke des Hauses zu einem Punkt, von dem 5 aus man weit seeauf- und ebenso weit seeabwärts sieht. Das Haus steht auf einem markanten Felsvorsprung, direkt auf natürlichen Stein gebaut, sodass die wenig vertieften Keller eines Bodens von Menschenhand nicht bedurften. Für den eigentlichen Weinkeller, vom Haupthaus etwas zurückliegend, musste 3 Meter tief der Felsen ausgehauen werden. Vorne aber, an der genannten Hausecke fällt der Fels steil ab gegen den See, ist schon nach wenigen Metern um die Höhe der Gartenmauer gefallen - man sieht an der heutigen Landstrasse den Naturstein hervortreten — und fällt in gleicher Steile weiter zum ursprünglichen Seeufer, das etwa da lag, wo heute die berg- wärtige Strassengrenze der Seestrasse verläuft. Oben aber ergab sich eine Felsterrasse, eben und sich verbreiternd zurücklaufend bis hinter die Bahnlinie. Unmittelbar nördlich dieser Felskuppe liegt die alte Haab am Christoffel. Die hervorragende Lage des Hofes Romenscheur oder Ramenschül auf dem vorspringenden Felsplateau wird unterstrichen durch die Nachbarschaft der Haabe beim Christoffel. Dessen Name wird schon in vorreformatorischer Zeit erwähnt (1504). Hier dürfte ein Bild oder eine Kapelle des Heiligen Christopherus gestanden haben, der oft als Beschützer von Brücken und Seeverkehr verehrt wurde. Vielleicht stand hier auch ein Schutzhaus für die Seefahrer, nicht nur hart am Wasser, sondern, wie andere Schutzhäuser, im Wasser. Das Unterge- schoss wies bei solchen Bauten grosse Rundbogen nach der Seeseite auf, um den vor dem Sturm Zuflucht suchenden Weidlingen das Einfahren unter Dach zu ermöglichen. Tatsächlich spielt denn auch das «Bogenhaus» oder kurz «der Bogen», wie er meist genannt wurde, in der Geschichte Feldmeilens eine gewisse Rolle. Seine genaue Lage lässt sich bis jetzt nicht sicher ausmachen, doch muss er in nächster Nähe des «Christoffel» gestanden haben. Ob wir, in Zusammenhang mit dieser Christoffel-Haabe, einen ritterlichen Turm auf dem Ramenschül annehmen dürfen, von dem aus ein Angehöriger des niedrigen Dienstadels den Seeverkehr zu überwachen hatte, lässt sich nicht entscheiden.3 Frühzeit 1320—1588 Die älteste Erwähnung des Namens Ramenschül findet sich im Kammeramts-Urbar des Grossmünsterstiftes Zürich aus dem Jahr 13464 und lautet (übersetzt): «Desgleichen gibt Joh. von Wellenberg 5 Mütt Kernen vom Weinberg Ramenschül in Meilen.» Es wird vermutet, «Ramenschül» sei aus einem alten Ortsnamen «Romanswil» entstan- 6 jwiftätgparl iftbulwigeifett- Die erste urkundliche Erwähnung im Statutenbuch St. Felix und Regula 1346 «Item Johannes des Wellenberg V modio tritici de vinea (5 Mütt Kernen vom Weinberg) Ramen- schül in Meilan.» den.5 Eine alemannische -wil-Siedlung in dieser Gegend, zwischen Meilen und Dächliswil (Herrliberg), ist zwar möglich, aber im ganzen gesehen doch recht fraglich. Die Propstei besass in Feldmeilen alten, ausgedehnten Grundbesitz. Es werden aber in den Urkunden der Propstei nie Grundstücke «zu Romanswil» oder «bei Romanswil» erwähnt; es treten auch nie Personen auf, die «von Romanswil» sind oder «Romanswiler» genannt werden. Man müsste also schon annehmen, Romanswil wäre eine Zeitlang als Siedelung überhaupt verschwunden und hätte nur noch als Flurname weitergelebt, wodurch sich vielleicht auch die starke lautliche Veränderung von Romanswil zu Ramenschül erklären würde. Aus den Jahren 1300—1350 besitzen wir zahlreiche Berichte über neu angelegte Weingärten im Feld, über Ackerland, das zu Weinbergen wurde. In diesem Zusammenhang wird 1313 die Landstrasse, die Feldmeilen der Länge nach durchzieht, erstmals erwähnt. Wir dürfen wohl mit dieser starken Ausdehnung des Rebbaues zwischen 1300 und 1350 folgende aufschlussreiche Stelle des Chronisten Johannes von Winterthur in Zusammenhang bringen: «Der Weinbau in dieser Gegend ist sehr alt, allein erst um die Mitte 14. Jahrhunderts bekam der Wein einen milden Geschmack, vorher war er so sauer, dass er die eisernen Zapfen angriff.»6 7 Durch eine Bestimmung in der alten Dorfoffnung, die etwa um 1320 aufgeschrieben wurde (vergl. Heimatbuch I960), wollte man das aufkommende Siedeln im Feld, das durch den zunehmenden Weinbau bedingt war, mit folgendem Gesetz einschränken: «Wenn die Häuser am Feld «wüestlich» (unordentlich, leer, verlassen) stünden, soll mein Herr (der Propst der Grossmünsters) gebieten, dass man sie wegtue. Geschieht das nicht, so soll er den Vogt anrufen. Der soll sie «dannen sehrenzen» (abbrechen) ohne des Höschen Hofstatt und der Hofstatt des Kloster Wurmsbach zu Rossbach.» Die Hofstatt des Hösch (Hösch ist ein Zürcher Bürgergeschlecht jener Zeit) ist also, zusammen mit dem seit 1311 bekannten Wurmsbacherhof am Rossbach, die einzige legitime Hofstatt im Feld. In der Öffnung steht nicht genau, wo sie sich befand. Das Gebiet unmittelbar bergwärts des Gutes Mariafeld führt aber seit langem den Namen «im Hösch» (vergl. heutige Hösch- gasse, zwischen Schulhaus und Bahnlinie; der Name wird von alten Feldnern «im Höösch» gesprochen, mit langem offenen öö). Wir dürfen darum wohl vermuten, das heutige Mariafeld sei einstmals diese privilegierte Hofstatt eines Stadtzürcher Bürgers Hösch gewesen. Die zitierte erste Erwähnung von Ramenschül im Kammeramts- Urbar steht unter dem Titel «Zehnt zu Meilen.» Die Hauptmasse der Zehnteinkünfte der Kirchgemeinde Meilen stand seit dem Jahr 965 dem Kloster Einsiedeln zu.7 Das Grossmünsterstift besass aber von einer Anzahl von Grundstücken in Obermeilen und einigen wenigen in Dorf-Meilen den Kornzehnten (ausdrücklich als solcher bezeichnet). Dazu kam— räumlich ganz isoliert — der Kornzehnt des Weinberges Ramenschül in Feldmeilen. Die Abgabe von 5 Mütt Kernen, die Johannes von Wellenberg entrichten musste, machte im Jahr 1346 immerhin einen runden Fünftel der gesamten Zehnteinkünfte des Grossmünsters aus unserer Gemeinde aus. Offenbar sind diese Zehntrechte des Grossmünsters älter als die Einsiedeins, denn sie werden schon im ersten Güterverzeichnis der Propstei (um 880)8 erwähnt. Im Jahre 1346, als sie erstmals detailiert festgehalten wurden, erscheinen sie zwar eher in der Form eines Grundzinses, denn die Grösse der jährlichen Abgabe ist festgesetzt. Der Zehnten war ja sonst der zehnte Teil vom Ertrag des Grundstückes und wurde im Prinzip der Dorfkirche (oder dem Besitzer, dem Patron der Kirche) geschuldet. In einem Zehntverzeichnis wird darum normalerweise nicht die Höhe der geschuldeten Abgabe, sondern die Grösse der zehntpflichtigen Grundstücke festgehalten. Hier wurde nun aber von einem Weinberg eine Abgabe von 5 Mütt Kernen als «Zehnt» gefordert. Diese Aufzeichnung macht also schon im Jahre 1346 8 den Eindruck einer antiquierten, erstarten Bestimmung. Ramenschül dürfte sich also schon lange Zeit vorher von seiner Umgebung rechtlich abgehoben haben. Die Zehntenabgaben des Hofes an das Kammeramt lassen sich über 400 Jahre verfolgen. Sie werden erwähnt in einem Verzeichnis des Jahres 1487:9 Heini Bubenstoss zahlte damals, zusammen mit andern, von zwei Hofstätten und einer Juchart Reben einen Viertel Mütt Kernen und einen Viertel Malter Hafer. Er war damals einer der reicheren Bürger unserer Gemeinde.10 Knappe 80 Jahre später (1543) waren Besitzer der zehntenpflichtigen Güter in Feldmeilen: Langhans Andres, Rütsch Bubenstoss, zugenannt Spechtfrau, Bernhard Wunderli und Cornel Schulthessen Erben.11 a Sie machten dem Kammeramt Schwierigkeiten: während fünf Jahren blieben sie die Abgabe überhaupt schuldig. Sie sollten ihren Zehnten einem Beamten der Wacht- gemeinde Obermeilen abliefern, die vom Kammeramt mit dem Einzug betreut worden war. Die Zahlungsverweigerung der Feldner drohte in Obermeilen ansteckend zu wirken, doch brachte die Stiftsverwaltung sie wieder zum Gehorsam. Im folgenden Jahrhundert wurden diese Zehntrechte des Kammeramtes in Meilen dem allgemeinen Brauch angepasst: die Bauern mussten nicht mehr eine feste Abgabe entrichten, sondern den zehnten Teil des Ertrages. Dies tat um 1647 Hans Erhard Suter im Feld,11b der damals, wie wir später sehen werden, Lehenmann des Amtmanns Escher (Besitzer des Hofes Romen- scheur) war. Die letzte Beschreibung der Zehntabgabe an das Kammeramt stammt aus dem Jahre 1740.12 Junker Diethelm Escher, Felix Dolder und Jakob Wunderli besassen dazumal die zehntpflichtigen Güter: 3 1/2 Jucharten Acker und Wiesen im «Stettier» genannt. (Dieser Name für das Gut Romenschür taucht erstmals 1621 auf). Um diesen kleinen Zehntbezirk des Kammeramtes gegenüber den übrigen Grundstücken, die dem Kloster Einsiedeln zehnten mussten, abzugrenzen, wurde er mit sieben Marksteinen «ausgemarchet». Die Grundstücke, die der Propstei den Zehnten entrichten mussten, waren aber meist nicht ihr Eigentum. Zwar hatte das Chorherrenstift einen weitverzweigten, alten Grundbesitz in unserer Gemeinde. Von diesen Grundstücken mussten die Bauern einen Erblehenzins oder Grundzins entrichten, meist ins «Kelleramt» der Propstei. In den Urbarien des Kelleramtes wurden diese Grundstücke von Meilen immer sorgfältig notiert und lassen sich über lange Zeiträume verfolgen. Der Name «Ramenschül» oder «Romenscheur »kommt in diesen Aufzeichnungen nicht vor; der Hof gehörte offenbar nicht zum Grundbesitz der Propstei Grossmünster. Und doch scheint es, Ramen- 9 'flwSbn «|V V ân^in ^wâùcuûâc^/ÎRtn ttiAti üaiwa Ausschnitt aus dem Erblehensbrief vom 24. Juli 1359 (Staatsarchiv des Kantons Zürich) schül sei mit der Propstei in näherer Beziehung gestanden. Johannes von Wellenberg, der 1346 den Zehnt bezahlte, entstammte einem thurgauischen Rittergeschlecht, dessen Burg in der Nähe von Felben stand. Er selbst war aber Geistlicher am Zürcher Chorherrenstift. 12a Wenig später, im Jahre 1359, überlassen Propst und Kapitel des Stiftes ihrem Kellerer, Wernher von Cham, seiner Frau Margreth und ihren Kindern bis zum Tode aller aus «früntlichen Gnaden» den «wingarten, der gelegen ist ze Meilan an dem Swabenbach, den man nennt Ramen- schül, stozt oberhalb an den swabenbach, niderthalb an Hch. Brüg- gelis Wingarten, einhalb an Oelzapfen wingarten, anderthalb an die Landstrass, der den obgenannt min herren und irem Gottshus eigentlich angehört, denselben wingarten samt allem so darzu gehört».. .12b Es ist nicht sicher, ob mit diesem «Weingarten Ramenschül» (eine Hofstatt wird nicht erwähnt) das frühere Gut Wellenbergs, das spätere Mariafeld, gemeint ist, denn dieses reichte wohl nicht bis zum Schwabach. Was später mit dem Weinberg geschah, den Werner von Cham als Lehen empfing, ist vorläufig nicht bekannt. Als zehntenpflichtigen Besitzer der Güter im Romenscheur begegnete uns im Jahre 1543 Langhans Andres. Sein Geschlecht war in Feldmeilen und Toggwil begütert und wird dort 1406 erstmals erwähnt. Langhans Andres scheint mehr und mehr in Geldschwierigkeiten geraten zu sein. Er verpfändet sein Gut Romenscheur 1542 dem Amt Küsnacht (Rechtsnachfolger des Johanniterhauses, im Volksmund «Kloster» genannt): «Huss und hofstatt, schür und trotte, hanffland, bomgarten und 1 V2 jucharten räben zu Meylen uf dem Rommen- scheur gelägen».13 Das Gut ist sein freies Eigentum, doch lastet, neben einigen Kapitalzinsen, darauf als erste Abgabe drei Schilling sechs Heller ab dem Haus in das Stift zum Grossmünster. Es muss sich dabei um die alte Zehntlast handeln. Zum Hof gehören ferner: 2 V2 Jucharten Reben im «huderscht», «matten genantt eichholzwissen», «wissen in der bühlen» und «in der tüffenen» und «fünffzechen jucharten acher an einanndern im zweyenbach gelägen» und die Anstösser 10 sind die Bürckli, Schnorff und Wunderlich, um nur einige gute Meile- ner Namen zu nennen. Besonders enge Verbindung besteht aber damals, wie heute, zwischen Romenscheur und Sannt Christoffel, dem «huss und hofstatt, trotten, bomgarten, schür, hanffland und dritthalb jucharten räben inn einem innfag gelägen», alles zuständig dem Cun- radt Schorrer, mit dem zusammen die Gült empfangen und verschrieben wird. Schon 1504 finden wir den Vater Schorer (vom Schooren bei Kilchberg) auf dem Christoffel; wie lange dieser im Besitz genannter Familie verblieben ist, haben wir nicht untersucht, weil es nicht in den Rahmen dieser Studie gehört. Die bäuerlichen Besitzer hatten nicht nur Geld beim Johanniter- haus in Küsnacht aufgenommen, auch private Geldgeber aus der Stadt halfen ihnen. Hans Anderes gen. Lang von Meilen war in den 80er Jahren des 16. Jahrhunderts Erbe des Romenscheur, Witwer der Elsbetha Wynmannin und Vater der Kinder Bernhart, Jakob, Heinrich, Dorothea und Frena — aber auch Grundschuldner dem Junker Escher von Zürich, dem «Kloster» in Küsnacht, den Nachkommen seines Bruders, einem Vetter in Thun, dem Marx Fogel (Vogel) in Zürich, alles in allem für über 1 600 Pfund Zürcher Währung. Der Hof ist im «Infang» unverändert, in den Aussengütern sind es nicht mehr dieselben Parzellen wie zur Zeit der Gültbriefe; Reben im Pfaffen und im Hoesch, Holz und Feld in der Rüti und «Riedt im Gastel (Gaster) glich underhalb Utznach» sind dazugekommen, andere Stücke sind veräussert worden. Aber die Schulden sind höher als 3A des gesamten Landwertes, so entschliesst sich Anderes dem ersten Gläubiger, dem Junker Escher in Zürich, zu verkaufen, in dessen Namen Hans Anderes schon fünf Jahre früher, am 11. November 1583, die Stollenwiese in Bergmeilen erworben hatte.34 Die Junker Escher vom Luchs 1588—1760 War zu Ende des Mittelalters der Landadel in der Stadt sesshaft geworden, beginnt zu Ende des 16. Jahrhunderts ein starkes Hinauswandern des Stadtpartiziats aufs Land. Viele suchten der puritanischen Strenge und Ueberwachung seitens der reformierten Stadt- und Kirchenobrigkeit wenigstens auf Erholungswochen zu entrinnen und die Bezeichnung «Lusthäuser» war so wenig von ungefähr wie die allseits beliebten «Badenfahrten». 1588 kommt der Hof im Meiler Feld also durch Kaufbrief vom 21. Februar an den Junker Marx Escher vom Luchs, Gerichtsherrn zu 11 Kempten und Werdegg. In diesem Kaufbrief erscheint namens der Obrigkeit übrigens Untervogt Andreas Ebersperger, an den die Wappenscheibe im Chor der Kirche Meilen erinnert. — Eschers Vorfahren waren 200 Jahre früher aus Kaiserstuhl nach Zürich zugewandert, hatten das Bürgerrecht erworben, sich dann aber schon in der nächsten Generation in eine geadelte Ritter- und später Junkerlinie (Escher vom Luchs) und eine patrizische Herrenlinie (Escher vom Glas) geteilt. Erstere verband sich mit dem Land- und Stadtadel, war Con- staffel-genössig, Mitglied des adligen Stübli auf dem Rüden und stellte Gerichtsherren und Offiziere in fremden Diensten, wogegen Zürich den Glas-Eschern eine bedeutende Reihe erfolgreichster Kaufherren und hervorragende Magistrate verdankt. Heute sind die junkerlichen Luchs-Escher nahezu ausgestorben, im Gegensatz zu den weitverzweigten patrizischen Glas-Eschern. Wie mag der Ramenschül zu jener Zeit ausgesehen haben? Wir kennen keine Abbildung des 16. oder 17. Jahrhunderts, doch können wir aus dem heutigen Baubestand und späteren Abbildungen den Schluss ziehen, dass damals schon der heutige Alt-Giebelbau, parallel zur Landstrasse errichtet war, möglicherweise im oberen Geschoss die Stuben der Stadtherren, im unteren die Wohnung der bäurischen Lehensleute enthaltend. Der genannte breitgieblige Altbau hat starke Mauern und erhebt sich über dem ersterwähnten, auf Fels erbauten, wenig vertieften Keller in zwei Geschossen. Obwohl die Ausstattung aus wesentlich späterer Zeit stammt, dürfen wir in diesem Bau das bereits 1542 erwähnte «huus» vermuten. Wohl auch unter den ersten Stadtherren mag parallel dazu, etwas zurückstehend, das damals eingeschossige Nebenhaus erbaut worden sein, das noch heute, im Winkel dem barocken Saalbau verbunden, Spuren spätgotischen Entstehens zeigt. Es darf angenommen werden, dass dieser Nebenbau mit seiner dem Hof zugewandten Spitzbogentüre und ostwärts blickendem Doppelfenster, zu ebener Erde eine Badstube und einen Gartensaal enthielt. — Ob «schür und trotten» bereits die Anfänge des heutigen Lehenhauses sind, ist nicht feststellbar, doch spricht der dortige grosse Weinkeller der Ernteunterbringung wegen für frühzeitiges Entstehen. Junker Marx Escher der Aeltere, der Käufer von 1588, hatte seinen Vornamen von seinem Urgrossvater, dem Bürgermeister Marx Röist überkommen und in die Escherfamilie gebracht;15 er war 1547 geboren als Sohn des Jkr. Hans Escher und der Margaretha Meyer v. Knonau. Als er den Ramenschül in Meilen erwarb, war er Gerichtsherr zu Wetzikon, zum zweiten mal verheiratet und Vater einer stattlichen Kinderschar; an der Geburt des jüngsten Sohnes erster Ehe, 12 Hans Erhard, war die Mutter Margaretha Blaarer v. Wartensee 1584 gestorben, vier Jahre vor dem Erwerb des Meilener Gutes. Da auch die zweite Frau noch in Wetzikon 1594 beerdigt wurde und Jkr. Marx 1596 von seinem Vetter Hans Lux Escher die ehemals Waldmannsche Feste Dübelstein bei Dübendorf erwarb,16 muss angenommen werden, dass Escher sein Landgut in Meilen nicht viel besucht hat, es wohl nur der darauf lastenden Grundschuld und vielleicht des eignen Weines wegen erworben hatte. Von 1597 an lebte er freilich in der Stadt, ward Richter und schliesslich Schultheiss am Stadtgericht und XVIIIer zum Rüden (Ratsherr durch Wahl der Constaffel). Als er 1612 starb, war sein älterer Sohn Hans Georg bereits in städtischen Amt und Würden, kurz vor seiner Wahl zum Constaffelherr, seine Tochter war Gerichtsherrin Steiner zu Wülfingen und sollte bald Bürgermeister Rahns zweite Frau werden. Sein Jüngster, Hans Erhard, aber war gerade im Vorjahr Einsiedler Amtmann geworden, als Nachfolger verschiedener Escher des gleichen Stammes, die seit der Reformation sich in diesem Amt gefolgt waren. — Ihm hinterliess er, zusammen mit dem älteren Bruder, sein Landgut im Meiler Feld, das aber, wie wir sehen, schon neun Jahre später Alleinbesitz des Amtmanns wurde und unter ihm und seinem Nachfolger-Sohn besondere Bedeutung erlangte. Auch nach der Reformation war das «Gotteshaus vor dem finsteren Wald» reicher Grundbesitzer in Stadt und Landschaft Zürich geblieben und aus solchem Grundherrentum war auch der Einsiedler Abt bis 1818 Kollator der Pfarrkirche Meilen. In diesem Zusammenhang möge man mir im Jahre des römischen Konzils eine kleine oekumenische Abschweifung nicht verübeln: Jede vom Zürcher Bürgermeister und Rat getätigte Meilener Pfarrwahl bedurfte einer durch den Abt von Einsiedeln vorzunehmenden feierlichen «Einweisung in die Pfrund». Dem Abt wurden zwei bis drei Vorschläge für einen reformierten Prädikanten gemacht, aus denen er einen wählte, der wiederum vom Zürcher Rat zu bestätigen war. Einmal bestellt, reiste der neue Pfarrherr persönlich nach Einsiedeln, um dort seinen Bestallungsbrief zu empfangen, nachdem er vorgängig Gehorsam gelobt und beeidigt, dass er die Kirchgenossen zu Meilen mit wahrer göttlicher evangelischer Lehre versehen werde. Der Austausch der Lehensbriefe endete damit, dass der reformierte Prädikant dem Abt die Hand küsste, seinen Kanzler und seinen Kämmerling mit je einem Präsent in Form eines Hosen- Paars, später an dessen Stelle zwei Dukaten, ehrte, seinerseits aber zur Hoftafel geladen wurde.17 Doch kehren wir zurück zum zürcherischen Amtmann Einsiedeins, unserem Junker Hans Erhart Escher, dem es als Spichwart oblag, die 13 Erträgnisse der einsiedlischen Lehensgüter einzuziehen. Er hatte seinen Sitz im «Einsiedlerhof» in Zürich, zur Zeit von Eschers Amtsantritt ein stattliches Haus am Münsterhof, da, wo heute das Zunfthaus zur Meise steht. Sieben Jahre später tauschte das Kloster diesen Hof gegen das auf Dorf gelegene Haus zum «weissen Kreuz» (Limmatquai). Dort müssen wir uns also den Sitz unseres Amtmannes vorstellen, währenddem er im Meiler Feld Erholungstage im Sommer und Wümmet verbracht haben mag. Darüber hinaus aber sah das Haus nun festliche Gäste aus Einsiedeln, wenn der Abt oder sein Kanzler zu Wasser nach Zürich kamen und am Meiler Feld Zwischenhalt nahmen. Marx Escher, des Amtmanns Sohn, gibt uns in seiner Autobiographie einige Jugendaufzeichnungen,10 die als Zeitbild hier wiedergegeben sein sollen: «Den 7. April 1628 morgens um 2 Vi Uhr ward ich Marx Escher in dem Einsidlerhof auf dorf gebohren: Mein Vater war Jkr. Hans Erhard Escher Ambtman im Einsidler Hof, meine Mutter Frau Margretha Edlibachin. Den 8. April ward ich bym grossen Münster tauft. — Den 16. November 1629 starb an der Pest, so damahls in Zürich grassierte mein 6jähriger Bruder Ludwig — den 19. November starben meine L. Mutter, Frau Margreth Edlibachin und mein 14jähriger Bruder Hans Erhard und sind bym grossen Münster begraben worden. Auf dises hat mein L. Vater uns, seine noch lebenden Söhne gesonderet und aus dem Haus gethan, den Hans Conrad und Hans Rudolfen 10 wochen lang zu Herrn Christofel Nüscheler, dem Mahler, bey dem fliegenden Fisch hinder der Undern Zünen — Mich aber trug man in einer wiegen zum trauben im Neuwmarkt zu Frau Maria Escherin, meines Vaters Schwöster, herrn Burgermeister Hans Rudolf Rahnen sei. wit- wen. — Wir waren alle wohl versorget und verpflegt. —Während dem witwerstand hielt mein Vater bey sich sein Schwöster Jfr. Elisabetha Escher —sie war ledigen Standes, ein gar geschickte Jungfrau, welche dienlich mit wollen und Seiden umzugehen wusste.» Schon vor dieser Pestzeit war Vater Eschers älterer Bruder Hans Georg gestorben mit dem er das Gut im Meiler Feld gemeinsam ererbt hatte. 1621 verkauft die Bruders Witwe Cleophea v. Salis ihren und ihrer Kinder Anteil an Jkr. Amtmann Hans Erhard, ohne dass die Umschreibung des Grundbesitzes eine Veränderung des Gutes zeigt.19 Escher hatte seine Amtmannschaft bis zu seinem Tod im Jahr 1660 inne. Wenige Jahre vorher besagt das Einsiedler Urbar von 1653, dass unter «den zehendbahren Güttern zu Meilen der Junckher Ambtmann Aescher in der Wacht im Veldt fünf Jucharten Räben und zwei Jucharten Ackher besitze und zu Lehenmann den Hans Erhart Suter — er war 14 Wappenscheibe des Junkers Marx Escher und seiner Frau Margaretha Blarer v. Wartensee 1579. Käufer des Landguts Ramenschül 1588. Das Escherwappen zeigt schräg geteilt rot/gold im oberen Feld einen goldenen Luchs, daher «Escher vorn Luchs». (Landesmuseum Zürich. Photo Schweiz. Landesmuseum) Mariafeld 1960 (Altbau, Saalbau 1753, Kappellenhaus; Lehenhaus verdeckt). Planskizze auf nächster Seite gleich orientiert wie Luftaufnahme (Luftaufnahme M. Eggler, Jona SG) 17 sicher Eschers Taufgötti — habe. Die Einsiedlische Zehntenpflicht, der heutigen Kirchensteuer entsprechend, besagt nicht etwa, dass Eschers Gut Einsiedlisches Lehen gewesen sei. Es ist hier zu unterscheiden zwischen Lehensgütern des Klosters, die dem Amtmann zum Ertragseinzug unterstanden und übrigem Grundbesitz, der nur Kirchenzehnten — auch nach Einsiedeln — zu leisten hatte. Junker Marx Escher d.J. war ein Dreissiger, als sein Vater starb. Wohl wäre das ehrenvolle und einträgliche Amt dem älteren Bruder zugefallen, doch dieser verzichtete zugunsten des jüngeren, da Hans Conrad selber damals bereits wusste, dass er kinderlos bleiben würde. Die junkerlichen Escher waren in der Wahl ihrer Berufe adelsstolz und wählerisch, traten auch nicht gerne in kämpferische Konkurrenz gegen andere Anwärter. Erbliche Aemter waren ihnen erwünscht, wo sie nur unter sich zu tun hatten. Schon 1643 schrieb Vater Escher an den Abt, man möge seine Söhne als Nachfolger bestätigen, was ihm auch 1645 zugesichert wurde.20 Marx Escher war verheiratet. Wir finden darüber in seinem Tagebuch wiederum eine für jene Zeit bezeichnende Notiz. War der alte Escher schon nach kurzer unsentimentaler Witwerschaft (5 Monate) wieder verheiratet, so besorgte er sich mit erstaunlicher Promptheit, zum zweiten Mal verwitwet, eine Sohnsfrau ins Haus, Vater Eschers zweite Frau, Barbara Hess, starb im Spätwinter 1654 und im Tagebuch finden wir: «Als mein Vater nit gut funden, dass keine Frau in diesem haus seye, hat er mich angemahnet, zu der heirathe, er wolle mich mit der frauwen im haus halten — darauf ich mich mit seinem guten wüssen und willen eheliche verlobt mit Jungfrau Maria Grebel» — am 29. Mai 1654 war die Hochzeit. «1661. jähr war ein gantz fruchtbahr jähr. Ich hab an meinen 5 Jucharten Reben im Meilerveld gewümmet 156 Eimer 8 Töpf über den Zehenden» (ca. 16 000 Liter). «1671 am 17. August, kam der Fürst (Abt von Einsiedeln Augustin II. Reding v. Biberegg) samt seinem Begleit von Fahr wieder allhero (Zürich), und nach genomner Mittag Mahlzeit ist Er in seinem Schiff nach Pfäfficken verreist, ich begleitete sie bis ins Meilerfeld, da sie noch einen Trunk in meinem Guth genommen.» «Im 1675 wümmete man erst ausgendts Octob. und anfangs Novemb. Es gab ein sehr saurer Wein. Man musste die Trauben unter dem Schnee in grosser Kälte ablesen, ward darum der Schneewein genant». «1686 16. Mai gab es zu Meilen blühende Trauben». Von seiner Tätigkeit als Amtmann, von seiner Frau und seinen vier Söhnen berichtet er so gut wie gar nicht; dagegen erwähnt er: 18 «1684 3. Juli starb mein Lehenmann Hans Heinrich Sutz zu Meilen». Sein Aeltester war Hans Erhard, dem wir die zu Anfang erwähnte Beschreibung des Zürichsees verdanken, die für die Geschichte dieser Gegend viel Wissenswertes enthält, auch mit einer hübschen Landkarte und einem Meyer'schen Prospekt (Titelblatt) versehen ist. An ihn erinnert in der Mariafelder Eingangshalle noch eine mächtige Stücklitruhe der Spätrenaissance, gezeichnet H.E. E. 1680 (das H, wurde später entfernt). Noch zwei Söhne erreichten das Mannesalter, einer heiratete; aber keine Enkel waren dem Amtmann Marx dj. beschieden. 1686 starb Eschers Frau Maria Grebel — er heiratete im folgenden Jahr Anna Barbara Escher vom Luchs, die Tochter des Obristen Peter und der Dorothea v. Graffenried — diese Ehe blieb kinderlos. Mit zunehmendem Alter fährt Marx Escher alljährlich mit seiner Frau, oft auch mit Sohn und Sohnsfrau ins Meilerfeld, um dort in Kräutern zu baden. Wir vermuten, dass der Krautgarten vor dem Badhaus angelegt war, wie wir ihn aus der Abbildung Seite 25 erkennen können. «1690 9. Heumonat fuhr ich und meine Frau gen Meilen in mein gut ein Bader Cur daselbst zu haben». «1691 1. Aug. hatten wir zu Meylen ein 9 tägige Bader Cur — ebenso 1692 eine 13 tägige. Aber auch die andere Hälfte des Badhauses, der Festsaal, kam zu Ehren; «1693 22. Mey kamen von Pfefficken im Schiff in mein guth im Meiler feld Ihr fürstl. Gnaden Herr Raphael (v. Gottrau) Abt zu Ein- sidlen, Herr Mauritz Fleckenstein Conventual, Herr Lazarus Heinrich Cantzler, Herr Secretaire Carl Francis Kreuel, Item Cämerling, Marg- staller, Laquey sambt 3 Schiffmannen und 6 pferdten, dise Herren haben ein Mittagsmahl in Frölichkeit mit uns genommen, und sind noch selbigen Tags zu pferdt uf Fahr gereiset, die Schiffleuth aber nach Pfefficken.» Der Festsaal mit den langen Fenstern bis zu den Gartenbeeten, die blühenden Matten im Infang, die grünenden Rebenhänge der Frauenkammer, sie alle haben an diesem frohen Mittagsmahl teilgehabt, und auch der Chronist im Kloster daheim erhielt Kunde davon und schrieb sorgfältig nieder, der Nachwelt zu bewahren, was die geistlichen Herren draussen, reformierten Gebiets, erlebt hatten: «Wie gemerkt, seynd ihrer Fürstlichen Gnaden disen Abend auf Pfeffiken kommen, wo sie auch eins und anderes zu sehen vorhatte. Nechsten Morgen celebrierte Sie früher, namen darüber ein Frühstück, 19 gingen hernach mit ganzer Aufwart in das Schiff, darin auch die Pferdt gestellt worden, liessen sich bis auf Meilen stossen, wohin Herr Amptmann Marx Escher sie ganz angelegenlich eingeladen, kehrte deretwegen bei ihm in seinem Guet genannt im Veld zu und speiste dorten zu Mittag. Gesagter Herr Amptmann, welcher diese Gelegenheit schon lang gesuecht und verlangt hatte, stellte ein Fürstl. Tractation auf, neben dem kostlichsten alten Züricher Wein, von 12, 15 und 16 Jahren, also dass der Aufwart Ihrer Fürstlichen Gnaden über selbst eigener vermeinen mehr Dampf in Kopf bekommen, als dass Sie in allem netto aufwarten möchten. Seynd gleichwohl alle mit Ehren aus dem Haus kommen. Aber als sie zu Pferdt gesessen und fortgeritten, finge mithin einer zu schwanken: und nach dem sie auf der Strass ein weniges halten müsste, und underdessen vom Pferdt gestigen, nachgends sich mit zimmlich grosser Difficultet wider auf die Pferdt gebracht. Wahrum auch sie so lang gesäumbt, dass Sie zimmlich spath, gleichwol mit Glück nach Var (Fahr) ankamen» .21a Dieses fröhliche Gezeche war der Abschluss von Eschers 34jähriger Amtstätigkeit — schon 1694 resignierte er und übergab sein Amt Johann Caspar Hess.21b Die Amtsaufgabe brachte das Verlassen des Einsiedlerhofs auf Dorf mit sich, und Junker Marx zog in das nahegelegene Haus zum «steinernen Erggel» (Ecke Trittligasse/Oberdorfgasse), das er von seiner Base Edlibach ererbt hatte. Im Meilerfeld sind die frohen Tage der Einsiedler Besuche nun zu Ende. Der Junker alt Amtmann geht mit seiner Frau nur noch im Brach- oder Heumonat zu zehn- bis vierzehntägigen Kräuterkuren hinaus. 1705 feiert der Patriarch im Meilerfeld noch ein bäuerliches Fest: «21. Heumonat, hat mein Taufgötti und Lehenmann Marx Sutz aet. 34 Hochzeit zu Meilen gehalten mit Elsbeth Sträulin von Wädenschweil. Die Mahlzeit war in meinem Haus im Meiler Veld und waren an der Hochzeit meine beiden Söhne Gerold und Hans Conrad und auch die Sohnsfrau, Frau Anna Dorothea von Schönau. G.G.G.»21c Ab 1712 haben wir keine Aufzeichnungen mehr. Der 84-jährige Junker ist des Niederschreibens müde geworden. Da Amtmann Escher alle seine Söhne überlebte und keine Enkel hatte, vermachte er das Gut seinem Vetter, dem Junker Hans Heinrich Escher «an der Thorgass». Doch auch diesen hatte er überlebt, als er 1719 im hohen Alter von 92 Jahren starb. So waren die Kinder des verstorbenen Vetters seine Erben; es waren zwei Söhne und vier Töchter.22 20 Nach dem Zürcherischen Stadterbrecht von 1716 «haben Söhne vorzugsweise ein Recht auf die Liegenschaften, welche ihnen um einen billigen Preis zu überlassen sind, der jüngste Sohn hinwieder vor seinen Brüdern ein Vorrecht auf das Wohnhaus des Vaters. Endlich teilten dann die Brüder mit ihren Schwestern die gesamte Erbmasse so, dass auf jeden Sohn fünf, auf jede Tochter vier Teile kommen, oder wie sich unser Recht ausdrückt, zu fünf und vier Pfennigen».23 Dem sogenannten Minorat im altschweizerischen Erbrecht, noch heute in gewissen Gegenden des Kantons Bern üblich, lag die Ueberle- gung zu Grunde, die Bevorzugung des jüngsten Sohnes sichere eine längere Besitzeszeit und dadurch weniger häufigen Handwechsel. Ausserdem galt die Erfahrung, dass ältere Söhne, oft vom Vater unterstützt, bereits selbständig und vermöglich seien, wenn dieser sterbe, während der Jüngste über den Tod des Vaters hinausreichender Bevorzugung bedürftig sei und eben deshalb den Hof bekommen sollte. Auch war es richtig, den Aeltesten nicht wartend auf des Vaters Hof seine besten Mannesjahre dahin streichen zu lassen, sondern diese neuem Besitz zuzuwenden. Die zweite Eigenart des damaligen Erbrechts nennt man den sogenannten «Mannsvorteil», wir finden ihn heute noch teilweise in Graubünden. Obwohl Obervogt Hans Heinrich Escher schon 1716 gestorben war, wurde sein Erbe erst am 4. Juni 1720 verhandelt, d. h. nachdem das Meilergut auch in die Erbmasse gefallen war. Das Haus an der Thorgasse, eben das Wohnhaus des Vaters, ward auf 3000 Gulden bewertet und dem jüngeren Sohn Diethelm zugeschlagen (er hiess nach seinem Grossvater Holzhalb so): «das Landt- gueth zu Meylen mit aller zugehör, welches erst nach Seinem Selligen hinscheid seinen hinderlassenen Erben, von dem Junker Amptmann Escher im Steinernen Ergel lt. Testaments, vermächnuss- weiss anheimgefallen» trägt den lakonischen Vermerk «ohne Werth».24 Wir erklären uns diese überraschende Taxierung aus Gründen, vielleicht der Erbsteuer oder um Unfrieden seitens der anderen Escher- Grossvettern zu vermeiden — denn der Ertrag an Wein allein aus dem Jahre 1711 besagt, dass das Gut keineswegs ohne Wert war. Der Teilrodel fährt weiter: «welche Summa (die Gesamterbschaft) mit consens, und zufridenheith sämtlicher Erben in sechs gleiche Theile zu vertheilen geordnet worden; — jedoch mit dem Vorbehalt, dass dannzumahlen, der väterliche Vortheil, so dennen zwey Junkern Söhnen hiervon gebürte, Ihnenn, auff demm Landgueth zu Meilen (so hiervornen vor nichts gewerthet worden) solln gezeiget werden». Mit anderen Worten also, von 1720 an sind die neuen Besitzer des alten 21 Ramenschiil die Brüder Jkr. Hans Georg (1692—1751) und Jkr. Diet- helm (1696-1755). Der Aeltere der Beiden heiratete 1726 Esther Escher vom Glas, ward XVIIIer vom Rüden, Beisitzer der Reformationskammer und schliesslich Obervogt zu Laufen — er blieb aber kinderlos. Wir müssen vermuten — leider blieb die Suche nach entsprechenden Aufzeichnungen erfolglos —, dass er für seine junge Frau im Landgut draussen die ersten Verschönerungen des 18. Jahrhunderts vornahm und wir ihm in solcher Hinsicht manches verdanken. Der uns bereits bekannte Altbau über der Seeterrasse erhielt im Oberstock zierliche doppelflüglige Nussbaumtüren, alle Zimmer untereinander verbindend und auf die obere Halle ausmünden lassend. Originelle flache Messingschlösser mit kleinen Drehknöpfen, die uns als Kinder so oft Schwierigkeiten im Oeffnen machten, sind in einer Leichtigkeit und Schlichtheit ausgeführt, die wir für diese Zeit kaum erwarten möchten. Die hellen Stuben gegen den See erhielten weiter einfache, aber gekonnte Mittelstuckaturen und Deckensimse und endlich in der Nordwest-Ecke, mit dem Blick in Richtung auf das ferne Zürich, entstand ein ländliches Prunkzimmer für die Herbsttage. Besonders schön gemasertes, durch verhaltene Einlegearbeit belebtes Nussbaumtäfer und ein weissblauer prachtvoller Turmofen des Johannes Reiner25 strahlen für die kühlen Wümmetabende trauliche Geborgenheit aus. Vom Ofen her kennen wir das Jahr dieses Umbaues, 1729, ist er doch in der mittleren Kron-Kartusche signiert und datiert. Der Ofen zeigt auf einer Kachel die bislang älteste Ansicht des Hauses (s. Abbildung Seite 25), die uns für die Baugeschichte so wertvolle Dienste leistet. Feudal umringen auf dem Ofen die Ansicht des schlichten Landhauses solche der Schlösser Sonnenberg, Fïauenfeld und Baden. Die Stuckaturen über dem Täfer, zur Decke überleitend, zeigen Verwandtschaft mit denen des Festsaales im Rüden in Zürich und dürften bei der Zugehörigkeit der Luchs-Escher zu Constaffel und adliger Stube von der gleichen, wie man dort vermutet, italienischen Meisterhand stammen. Draussen an der Seefassade entstand eine grosszügige Doppeltreppe zu den Räumen des Untergeschosses führend, mit schönem Geländer damaliger Schmiedeisenkunst; Kugelknaufe auf den Zwischenstäben, breites Bandwerk, Akantusblätter und schwungvolle Barockornamente (C-Voluten) ländlicher Behäbigkeit sind Zeugen d!er französischen Régence. Dieser Freitreppe vorgelagert entstand ein sechseckiger Springbrunnen aus klammerverstrebten grossen Sandsteinplatten, dem Garten einen Hauch jener Lustgartenpracht zu geben, die wenige Jahre 22 früher (1723) in der Herrliberger «Schipf» Hans Conrad Escher (Glas) — Pestaluz mit seinem prachtvollen Saalbau und Terrassengarten entfaltet hatte.26 Leider wissen wir aus der Zeit dieser Escher'schen Nachfahren wenig, da sich keine Aufzeichnungen erhalten haben. Wir sind auf die Lebensdaten der Besitzer angewiesen. 1751 stirbt der kinderlose Hans Georg. Von nun an ist Junker Diet- helm Alleinbesitzer, und der bald sechzig]ährige Constaffelherr beginnt von neuem das Haus auszubauen und es zum Heiratsgut für seine Tochter Küngolt zu rüsten. Ein stattlicher Neubau wird zwischen das alte Haus der Vorfahren und das Badhaus mit dem Einsiedlersaal eingefügt, breit und an die zwei Meter über die Firsthöhe des Altbaus hinausragend.27 Im Gebälk des Daches finden wir in einer Balkenfuge die Jahreszahl 1753. Im folgenden Jahr berichtet David Herrliberger in seiner Topographie: «Nicht weit darob (Bünishofen) ist das schöne und fruchtbare Mey- lerfeld, allwo Junker Ratsherr Diethelm Escher ein treffenlich Landgut hat von vielem und kostbarem Räbgwächs, neu angelegten Gärten, nach neuer Façon erbautes Lusthaus, und ein im Felsen gehauenen Keller; der Ort ward ehemal die Romenscheuer genannt.»28 Der 1753 erstellte Hochbau enthielt, etwas unter dem Hofniveau, eine gewaltige Weintrotte von etwa sechs Meter Höhe, sieben Meter Breite und etwa acht Meter Tiefe ; rückwärtig stiess die Trotte an die Weinkeller des Altbaus. Links und rechts von der Trotte lagen Kammern und Nebenräume im Keller- und Zwischengeschoss. Ueber der Trotte entstand ein festlicher Saal im ländlichen Rokoko. In den Ausmassen der Trotte gleich, griff der Raum über die Höhe der übrigen Wohnräume hinauf in den grossen Hofgiebel. Hohe, sprossenunterteilte Fenster2'» blickten hinaus auf den Hof und die ansteigenden Rebenhänge des Huderst und der Nadlen. Ursprünglich in weiss und gold gehalten, war der Saal möbliert mit einer Spiegelkonsole zwischen den Fenstern und weissgoldnen Rokokosesseln mit Schwänen und Muschelornamenten an der Rückenlehne. Die Türen wurden denen des dreis- sig Jahre früher verschönten Altbaues nachgebildet. Die Decke zeigte ein Stuckdekor in schlichter Beschwingtheit. An den Saal angrenzend entstanden zwei längliche, dreifenstrige Schlafkammern für Gäste und Freunde. - Das Mobiliar ist noch heute im Hause, und die Grundidee dieser Bauetappe hat sich bis zur Gegenwart erhalten, wenn schon der gewaltige Trottenraum 1839 zu Wohnzwecken umgebaut wurde. Der Saal war ursprünglich ohne Heizung, nur für sommerliche Feste gedacht. Der südliche Wohnraum (heute Bibliothek gegen den Garten, 23 erhielt dagegen um 1770 einen weiteren Turmofen für die Wümmet- tage: weiss mit schwarzblauen Rocaille-Ornamenten und Landschaften in der Art der J.R. Hoffmann und Daniel Düringer.29b Möglicherweise ist in der gleichen Bauperiode ein weiterer Ausbau des Lehenshauses erfolgt. Etwas zurückgesetzt erhob es sich parallel zum alten Herrenhaus mit strohgedecktem Mansardendach. Unten waren Keller und Ställe, darüber die Wohnung der Lehensleute und, ins Dach hinaufstrebend, die Heubühne. So mögen wir uns das Landgut im Meilerfeld vorstellen, wo 1755 der Grundherr und Neuerbauer während des Wümmets überraschend und im Alter von nur 60 Jahren starb, betrauert von seiner Witwe Elisabeth, seiner Stieftochter Greuter30a, und seiner jüngsten, dem damals 16jährigen Fräulein Küngolt. Diese junge Dame war durch den Tod des Vaters zu einer an Häusern und Gütern gesegneten Erbtochter geworden, waren ihr doch ausser dem neu erbauten Landgut das Stadthaus an der Thorgasse und vom Onkel her der «steinerne Erggel» zugefallen. Die Junker Wyss 1760—1839 Ein anderes Landgut in Obermeilen, den junkerlichen Vettern30b im «Sonnenhof» benachbart, sah damals hin und wieder einen jungen Herrn als Begleiter des Bürgermeisters Hans Caspar Escher vom Glas (1678—1762). Dieser junge Kavalier gewann das Herz der Herrin des Landguts im Feld, das von See und Landstrasse aus so stattlich und ganz nach neuer Façon anzusehen war. Junker David Wyss, damals 23jährig, früh von Vaterseite verwaist, hatte in eben seinem mütterlichen Grossvater Bürgermeister einen trefflichen Lehrer gefunden. Dieser bedeutende Staatsmann hatte David besonders ins Herz geschlossen, da er seinen eigenen Sohn früh verloren hatte. Väterlicherseits stammte David Wyss aus der alten Stadtfamilie der «Wyss vom Angel», sogenannt nach ihrem Wappenbild (silberner Angel auf schwarzem Grund).30c Noch zu Lebzeiten des Grossvaters Bürgermeister heirateten die jungen Leute im Januar 1760. Mit dem Ehepaar Wyss-Escher zog frohes Leben in das erneuerte Landgut; zu Sommerferien und zum «Krähhahnen» im Wümmet kamen jetzt wieder junge Leute. An die Hochzeit von 1760 erinnert der stattliche Brunnen im Hof des Meilerfelds, der aus diesem Anlass aufgeführt wurde.31a Aus muschelgeschmücktem, schon Anfänge des Zopf- und Guirlandenstils verratenden Aufsatz springt das frische Quellwasser der Brunnenstube an der Nadlen in den grossen Steintrog. 24 Das Landgut im Meiler Feld 1729 Darstellung auf einer Kachel des Ofens von Johannes Reiner Das Nussbaumzimmer mit dem Ofen von Johannes Reimer 1729 vgl. auch Abbildung Seite 25 Rechts oben : Junker Diethelm Escher (1696—1755) der Erbauer des Saalbaus (Porträt im Besitze von R. Huber, Bern) Rechts unten : Junker Bürgermeister David Wyss d. Ae. 1737—1815 Frau Küngolt Wyss geb. Escher vom Luchs 1739—1810 (Miniaturen um 1805 im Besitz der Familie v. Wyss) Ramenschül «au bord du Lac de Zurich du Coté de L'orient dessiné d'après la Nature, Contenant les Environs et la Campagne de Mr. de Weys» Gezeichnet von H. Bruppacher 1790, gestochen von J. Hofmeister Gezeichnet von H. Bruppbacher 1790, gestochen von J. Hofmeister Links vorn Haab und Haus zum «Christoffel» vor dem Umbau von 1819; dahinter ein Haus, das evtl, identisch ist mit den Häusern an der Nadelgasse (verzeichnet) oder an deren Stelle stand; dann Lehenhaus und Haupthaus des Landguts, über dem Dachfirst sichtbar der Saalbau von 1753; hinter Bäumen verborgen das Badhaus mit dem Gartensaal; am Ende der Mauer das Spritzenhäuschen; dann das heutige Naefenhaus (das Zellerhaus fehlt noch, stammt ca. von 1800/1810); dann der Giebel der alten Post und davor das «Fierzen- haus» mit dem Waschhäuslein am See. Noch ehe eine Kinderschar das Haus durchjauchzte, schrieb die junge Herrin am 3. März 1762 ihr Testament nieder: «Die Hinfälligkeit des menschlichen Lebens, von welcher alletage lebhafte beyspielle sich erzeigen, ist eine kräftige Ermahnung, für alle Stände und alter, sich der unausweichlichen Sterblichkeit zu erinnern und in der unge- wüssheit der Stunde unseres todes, die nötigen Anordnungen vor der ankunft desselben zu bestimmen; desnahen ich auch anmit, zu meiner beruhigung, unangesucht und unangefochten, auss meinem freyen willen und gutem vorbedacht, bey gottlob gesunden leib s und Seellenkräf- ten eint und andere Verordnungen, in diesseren meinem Testament setzen wollen». Dem Junker Ehgemahl vermachte sie: «zu einer etwelchen erkant- lichkeit, für seine mir erwiesene Liebe und treu, den fünften theil aller meiner an ligenden gütteren, heüsseren, gelt, Capitalien, meubeln und weinen völlig zu eigen, darmit zu schalten und walten nach seinem belieben», alles übrige Vermögen zu lebenslänglicher Nutzung. Sollte aber der «Junker Ehgemahl sich wiederum verheurathen, so solle selbigem das landgut zu Meilen mit meublen und weinen, dass hauss an der thorgass samt zehentausend gulden an Capitalien lebenslänglich zu gebrauchen überlassen seyn.» Die Junkerin blieb gesunden Leibes; drei Söhne und zwei Töchter wurden den jungen Edelleuten geschenkt, denen wir in der späteren Geschichte des Hauses noch begegnen werden. Junker Wyss war von 1771—1778 Landvogt zu Kyburg.31b Nach der Rückkehr in die Stadt suchte er in seiner freien Zeit oft das Landgut am See auf. Von hier aus schrieb er dem inzwischen 16j ährigen David dem Jüngern: «Freie Zeit und die unschuldigen Vergnügungen des Landlebens sind die beste und vornehmste Erquickung nach arbeitsvollen Tagen für Geist und Leib. Der herrliche Reichtum der Natur erweckt die lebhaftesten Empfindungen einer wahren Verehrung des Schöpfers derselben und giesst damit der Seele die süsseste innere Stille und Zufriedenheit ein, die uns am fähigsten macht, wahre Freuden dieses Lebens in Unschuld zu gemessen. .»32 1781/82 war Wyss Vater an den Mediationsverhandlungen in Genf, wo Bern und Zürich zugunsten der dortigen Bürgerschaft gegen den feudalistischen, von Frankreich genährten Standpunkt des Magistrats Stellung nahmen.33 Nach dem Sechseläuten von 1782 schreibt er seinem Sohn David nach Halle: «Gestern hat Dein Bruder Salomon auf der Schuhmacherzunft als Vikar Deiner Stubenmeistersteile sehr gut fungiert. Die Herren Schuhmacher haben vom guten Meiler Wein auf Deine Gesundheit 29 getrunken. Die erste Stufe der Ehren der Republik hast Du also bereits hinter Dir». Dieser Salomon, jüngster Bruder Davids, ist kein Geringerer als der spätere Mitbegründer der grossen Firma Escher-Wyss in Zürich.34 Und der kredenzte Zunftwein dürfte vom Landgut im Meilerfeld gekommen sein, nach der alten Tradition «under den guten Weinen nicht der mindste, den unterschiedenliche gute Fründe mit mir zum öfteren versucht haben». Wenige Wochen später rüstete sich David Wyss mit seinem Freund Kilchsperger35 dann zu einer Studienreise durch das nördliche Deutschland, und besuchte in Holland den mittleren Bruder Diethelm, damals Leutnant im Schweizer Regiment Escher-Luchs, einem Vetter der Mutter Küngolt gehörig. Diethelm war später der letzte Wyss im Meiler Feld. Die Briefe sagen über dieses militärische Placement: «... NN, lieutenant dans la compagnie du général Escher a péri par un accident et Mr. le général m'offre le drapeau vacant pour le Diethelm — voilà le second drapeau qu'on m'offre et j'accepterai celui- ci. »30b 1784 finden wir den jungen David zusammen mit dem Dichter Martin Usteri in Paris. Die jungen Zürcher Studenten reisen mit Empfehlungen der grossen, in der ganzen damaligen Welt verehrten Mitbürger: Salomon Gessner, Idyllendichter und Vater der Zürcher Porzellan- Fabrik im Schooren, und St. Peter-Pfarrer Johann Caspar Lavater. Der «feine Zürcher in Paris», Henri Meister, führt sie ein bei Diderot, Florian und Mme. de Genlis und vermittelt ihnen damit Eingang in die letzten Salons der Vorrevolution. Während die Söhne draussen in der Welt sich ausbilden, widmet sich der Vater der Zürcherischen und Eidgenössischen Politik. Trotzdem findet er Zeit, sich um den Weinbau zu kümmern: (17. August 1781:) «Nous eûmes un orage terrible, la grêle fit un dommage très considerable depuis Rüschlikon jusqu'au convin de Horgen et depuis Küsnacht le village jusque près du Rossbach. Elle a presque tout abimé en der vorderen und der hindern Schipf. Cette semaine nous avons eu tous les soirs des orages. Les raisins mûrissent à vue d'oeil, mais la vendange ne sera pas si abonndante qu'on l'a cru il y a quatre semaines. Flak et Brenner ont bien enlevé le tiers. Je conte de passer encore la plus grande partie de la semaine prochaine à Meilen.» (21. September:) «Dans une huitième de jours les vendanges commenceront chez nous.» (Ein paar Tage später:) «Depuis que je suis à la campagne il fait un temps terrible de pluie et de froid, nous voyons de la neige.. dans le voisinage. Nous aurions commencé la vendange vendredi, si il faisait. des beaux jours. Vraisemblablement nous 30 commercerons lundi.» (später:) «On ne parle que du mauvais temps, du Baromètre et des raisins.» (nach weiteren drei grauen Tagen:) «Le beau temps est revenu, et nous avons commencé nos vendanges. Je espère à présent de pouvoir les finir tranquillement à ma campagne. Pendant les vendanges il pourrait bien arriver qu'un jour de poste vous fussiez sans nouvelle de moi: dans ce temps les bateaux ne vont pas régulièrement. Il faut vous écrire le matin, comme ordinairement le soir, et attendre alors l'occasion de l'envoyer à Zurich». (9. Oktober:) «Je m'arrête encore tranquillement à ma campagne. Nous finirons nos vendanges après demain; elle est très abondante, en général un cinquième de plus qu'ont avait estimé». (16. Oktober:) «Nos vendanges sont allées jusqu'à 200 Eimer (20 000 1) dans la cave on m'appelle à souper.. .» Klingt solches Berichten nicht wie die vertrauten Gespräche der Gegenwart mit unserem Weinpfleger Huber in Mariafeld? Im Sommer sind's Fleck, Brenner, Mehltau, Hagel und was man alles kennt, was des Weinbauern Stirne in bedenkliche Sorgenfalten legt.. und im Herbst ist doch alles gut und weit mehr als man erwartet hat. Wie vorsichtig sind diese wetterfesten Landleute in ihren Prognosen! «J'ai enfin pu fermer mes livres de trésorerie (10. Oktober 1783), le lendemain je suis parti pour Meilen où la chère Maman se trouvait depuis huit jours; aujourd'hui nous avons commencé nos vendanges qui sont abondantes. Nous avons à Meilen un jeune ministre Ulrich qui a passé quelques temps à Paris pour apprendre la méthode de l'abbé de l'Epée et fait ici sur un jeune Meyer né muet l'épreuve de son savoir.» Der junge Pfarrherr Salomon Ulrich wurde später Wyssens Schwiegersohn und siedelte sich im Ruhestand mit Frau und Tochter Küngolt auch im Meilerfeld an; er kaufte 1835 das Hirzel'sche Landgut zum «Feldegg», dessen Herrenhaus nach ihm lange Zeit «Chor- herrengüetli» genannt wurde. Im April 1785 heiratete David jüngerMagdalenaWerdmüller und begann seine Laufbahn als Ratssubstitut und Sekretär an den Tagsatzungen. Dank seinem Fernsein von zu Hause haben wir für spätere Jahre manche Briefe des Vaters, von denen wir aber nur die in Meilen geschriebenen für unsere Skizze berücksichtigen. 1788 sind die Trauben dank grosser Wärme ungewohnt schön und zahlreich, «sodass es den stärksten Herbst von langen Jahren her geben kann.» Hinter diesem herrlichen heissen Sommer dräuen aber schon die Wetterwolken, die ein Jahr später den europäischen Himmel verfinstern werden. Vater und Sohn Wyss sind in der Vaterstadt oder nur vorübergehend in auswärtiger Mission auf Tagsatzungen, Konfe- 31 renzen und Gesandtschaften, der Vater Wyss in steigendem Ansehn, dem amtierenden Bürgermeister Kilchsperger aus der «hinteren Schipf» nahestehend, der Sohn in enger Mitarbeit dem Vater verbunden. Aus der Briefstelle vom 4. Oktober 1793: «So ruhige Tage wie diese Wochen habe ich seit zwei Jahren nie genossen. Sie bekommen mir sehr gut...» erkennen wir, dass die staatsmännische Inanspruchnahme wächst. Seine grossen Verdienste, seine Gewandtheit und Beredsamkeit waren in der Zeit, da klare Köpfe Not taten, in immer höherem Ansehn. «Seine kräftigen, feurigen Worte galten gleichsam als Orakelsprüche. Er wurde fast angebetet.»36 Wie sein Grossvater einst hinter der grossen Hecke des «Traubenbergs» in Zollikon gerne die Bauerngespräche der Landstrasse sich anhörte, weil kein Obervogt ihm so wahrheitsgetreu berichten könne, so benützte Wyss seine Aufenthalte in Meilen, um mit den Bauern Fühlung zu halten. Die Karossen- und Schiffsfahrten von Meilen nach Zürich boten ihm Anlass zu Gesprächen mit dem Volk. Klar erkannte er die keimende Unzufriedenheit, das Vordringen nicht immer fähigster Männer und die Gefahr der Missleitung erhitzter Gemüter. Am 12. Mai 1795 waren in der Stäfner Hofgemeinde neun Abgeordnete bestimmt worden, sich in Küsnacht Abschriften der alten Rechte zu holen. Am 15. Mai aus Meilen: «in d. heil. Wochen (Himmelfahrt) beschäftigt sich der Satan am meisten auf diesem Erdboden. Bei uns kann er keine schönere Gelegenheit als bei unseren Landpatrioten finden. Mittwochmorgen, ca 9 Uhr sehe aus meiner oberen Stube neun wohlgerüstete hastige Männer hier vorbeiziehen, die gegen mich am Fenster etliche mal zurückblickten, ich vermutete und sagte würklich den Meinigen, das scheinen mir bekannte Patrioten, die wieder mit etwas in Jast gebracht worden. Eine Stunde darnach erzählte mir der Bartputzer, was in der am Sonntag gehaltenen Gmeind Stäfen vorgegangen. Von Horgen habe ich Bericht erhalten mit Beifügen, dass heute das ganze Gericht zu den Obervögten begehrt und dass Untervogt nun auch zu der Mehrheit getreten. — Wann sie nichts weiter begehren, als was am Kappeler Brief redlich verstanden enthalten ist, so kann ich das begreifen. Ich habe die Trinkkur angefangen, was mich in die so nötige Ruhe versetzt, zu erwarten, was die Väter des Vaterlandes hierüber verfügen». Am 20. Juni ward David Wyss selber «Vater des Vaterlandes», indem er zum Bürgermeister an der Seite seines Freundes Kilchsperger gewählt wurde. Nach Meilen war der Ruf nach «Freiheit-Gleichheit-Brüderlichkeit» schon aus der Grenzbesetzung von 1792 bei Basel und Genf heimge- 32 bracht worden. Im Schoss der Lesegesellschaft am See, der Adjutant Wunderli zur Gerwe, der Löwenwirt Daniel Dolder und der Landrichter Caspar Dolder angehörten, arbeitete man mit am Stäfner «Memorial» des Hafners Neeracher. Der Waldmannische Spruchbrief und der Kappeler Brief waren, wie schon erwähnt, vom Landvolk aufgegriffen worden; in Meilen durften sie nicht verlesen werden; in Stäfa waren sie am 16. Mai gegen obrigkeitliches Verbot verlesen worden. Bereits unter Wyssens Regierung erfolgte dann die Citation verdächtiger Stäfner nach der Stadt, doch ohne dass sie ihr Folge leisteten. Nun sollten Pikette ausgehoben werden, Stäfa zu besetzen und die Schuldigen zu arretieren — besonders am See und in Meilen war jedoch die Aushebung nicht möglich. Junker Obervogt Meiss musste der aufgeregten Menge weichen. Am 5. Juli 1795 rückte General Junker Steiner mit loyalen Truppen in Stäfa ein und verhaftete die oppositionellen Landleute. In den nachfolgenden Wochen sass man in der Stadt über den Stäfner Seckelmeister Bodmer und seine Gesinnungs genossen zu Gericht. Die Mehrheit der Räte und auch Wyss waren für Todesstrafe, doch der St. Peter-Pfarrer Johann Caspar Lavater beschwor die Stadtväter, milde gegen die Stäfner Häftlinge zu verfahren. Bürgermeister Kilchsperger, mit Lavater eng befreundet, verstand es schliesslich, Wyss und den Rat umzustimmen und Milde walten zu lassen. Vorübergehend kehrte die Ruhe zurück. Aber die Stadtväter zeigten in der Folge eine schwer verständliche Unentschlossenheit, die mit Kilchspergers und Wyssens Verantwortungsgefühl und Klugheit in Widerspruch steht. Ungenützt verstrichen 1796 und 1797 — lächerlich gering war das Nachgeben und Einlenken, beinahe untätig liess man die gewittergeladene Zeit vorübergehen. Die Stadtobrigkeit nahm nicht offen Stellung zu den vom Landvolk auf Grund der alten Briefe geforderten Rechten. Am 26. September 1797 schreibt Wyss aus Meilen über die französischen Regenten (Directorium und Generäle): «Dass fünf und nicht einer die ungeheure Gewalt der Zerstörung in Händen haben, lässt mir noch einen Strahl der Hoffnung, den es immer besser ist beizubehalten, wenn man doch nichts ändern kann. — Würde die Menschheit so fruchtbar an Moralität sein, als unsere Weinstöcke an Trauben, so wäre diese unglückliche Erde ein Paradies. Ich wende meine Augen so viel ich kann ab von der Geschichte unserer Tage und überlasse mich dem Herrlichen der dermal so prachtvollen Natur, die sich mir noch viel schöner darstellt als ich erwartete. Komme, mein Lieber (Sohn David) auch bald und geniesse sie. Die Begierde, ihren friedlichen freudigen Genuss zu erhalten, kann allein Geduld und Muth 33 wieder erwecken, an der schweren und unangenehmen Besorgung unserer öffenlichen Geschäfte Antheil zu nehmen wie es Dankbarkeit und Pflicht erforderte.» Schwer ist es im Rückblick solche Ruhe des massgebenden Stadtmagistraten vor dem Sturm zu verstehen — vielleicht am ehesten, wenn wir bei Wyss das Gefühl vermuten, Unabwendbares müsse mit Fassung und Würde bestanden werden. Unterdessen verlangten immer wieder die Einsichtigen und Fortschrittlichen, die Stäfner Verurteilten sollten frei gelassen, die Verbannten heimgerufen werden — nichts geschah. Erst Ende 1797 sollte durch eine Volksbefragung erkundet werden, wie man auf dem Lande denke, und so sandte die Obrigkeit in Zürich deputierte Ratsherren hinaus, mit dem Volke zu sprechen. In Meilen war die entsprechende Versammlung am 8. Januar 1798 in der Kirche, zu der an die zweieinhalbtausend Leute vom See zusammen gekommen waren. Nach Anhörung des Ratsberichts forderten sie unter steigendem Lärm, dass man sie künftig nicht als Knechte wie bisher, sondern als Söhne behandle, die gefangenen Stäfner frei lasse, die Bannisierten heimrufe und alle im Stäfner Handel erfolgten Bussen und Konfiskationen zurückerstatte. Der auf den Taufstein gehobene Adjutant Wunderli beruhigte zwar die Tumulanten mit seiner «natürlichen Beredsamkeit.» Die abgeordneten Ratsherren konnten noch unbehelligt davon ziehen. Heimgekehrt aus allen Richtungen, berichteten die Ratsherren sehr unterschiedlich. Vom See her klang es deutlich. Zudem drängte Frankreich auch auf Freilassung der Häftlinge. Junker Bürgermeister David Wyss selber befand sich an der Tagsatzung in Aarau. In seiner Unsicherheit berief ihn der Rat am 29. Januar nach Hause. Gross war die Ueberraschung der Ratsversammlung, als Wyss, durch die Stimmung auf der Tagsatzung und das dort Gehörte zur letzten nüchteren Erkenntnis gelangt, erklärte: «Ich will Euch meine gnädigen Herren, lieber geradezu den Vorhang wegziehen und herausreden: Nicht nur gänzliche Amnestie müssen wir gewähren, sondern gleichzeitig Freiheit des Handels, der Handwerke und Studienfreiheit. Ohne das ist unser Landvolk nicht befriedigt und wir finden nirgends Beifall.» — Am folgenden Tag gab die Obrigkeit nach. Nun sollten in diesem verworrenen Moment Truppen mobilisiert werden gegen die im Bernbiet eindringenden Franzosen. Aber jetzt rächte sich die Unentschlossenheit und mangelnde Einsicht der Stadt. Der Aufstand des Landvolks war nicht mehr aufzuhalten; die Truppen verweigerten den Gehorsam; in Meilen wurde vor dem «Löwen» ein Freiheitsbaum errichtet. 34 Aus den stadtgetreuen Vogteien konnten wenigstens noch zwei Bataillone rekrutiert und nach Bern entsandt werden; das zweite Bataillon stand unter dem Kommando von David Wyss zweitem Sohn, Jkr. Oberstleutnant Diethelm, dem späteren letzten Wyss im Meilerfeld. Die Zürcher Truppen lagen während der Entscheidung am Grauholz in der Gegend von Aarburg in Reserve, ohne zum Kampf zu kommen. In Zürich hatten unterdessen die beiden letzten Bürgermeister des ancien régime, Kilchsperger und Wyss, abgedankt. Junker alt Bürgermeister Wyss war, im Gegensatz zu Kilchsperger, durch sein wenig einlenkendes Verhalten in den letzten Monaten stark exponiert. So blieb ihm keine andere Wahl, als beim Einzug der Landmiliz die Stadt zu verlassen und mit seinem Sohn David nach Lindau ins Exil zu gehen. Dass Wyss fürs erste gut tat, sich fern zu halten, beweist eine Briefstelle seines Sohnes aus Lindau, wo er am 16, März seiner Frau schreibt: «Selbst auf unserer Reise mussten wir ein paar mal hören, wie die Bauern im Zürcher Gebiete den Bürgermeister Wyss köpfen wollen.» — Anfang Juli wurde ihm die Rückkehr bewilligt; er lebte hinfort gänzlich zurückgezogen, meist auf seinem Landgut, wo er sich vornehmlich seinem lieben Studium der Alten und der Geschichte widmete. Aber den heimgekehrten Magistraten schmerzte der Anblick der französischen Revolutionstruppen in der Heimat, und er verschwieg nicht immer, was er dachte. Von einem bei ihm einquartierten französischen Hauptmann wegen seiner schlechten Meinung über die Franzosen verklagt, musste er sich vor Gericht verantworten, und diesem Zwischenfall folgte eine mehrmonatige Deportation von Vater und Sohn Wyss nach Basel. Nach der Rückkehr in die inzwischen von den Oesterreichern besetzte Stadt musste der alte Magistrat beim neuerlichen Herannahen der Franzosen sich wieder zur Flucht entschliessen. Diese führte für eine erste Nacht im September 1799 nach Meilen und von da neuerdings nach Lindau. Einen Teil der mühseligen Reise teilte er mit dem ehrwürdigen Schultheissen von Bern, Nikiaus Friedrich v. Steiger, der wenige Monate später in Augsburg starb. Wyss kehrte im Februar 1800 heim. Das Landgut in Meilen überdauerte diese Stürme. Das Vollziehungs- Direktorium hatte den Besitz der Wyssen sequestriert, freilich gleichzeitig eröffnend, dass es keineswegs gesinnt war, irgendeine Konfiskation oder Massregel vorzubereiten. Die Eröffnung schliesst mit «Republikanischem Gruss.» Die Söhne Diethelm und Salomon deklarierten im Namen ihrer Mutter, dass diese die wahrhafte Eigentümerin sei und verbürgten sich am 9. Oktober 1799 für die in Meilen liegenden 90 Eimer Weins von mittlerer Qualität. Durch Vorlage von Bilanz, 35 Theil-Rödeln, Rechnungen und Zinsbuch-Extracts erreichten sie schon nach wenigen Tagen, dass der «Bürgerin Wyss gebohrene Escher» mitgeteilt wurde, dass die Aufhebung des Sequesters eingeleitet sei. Da noch im Vorjahr das Wyssische Inventar «an Weinen in den Kellern zu Meilen ca. 500 Eimer, meist von den letzten Jahrgängen, in Durchschnitt 12 Gulden per Eimer (etwa 5 Rp. der Liter!)» aufführt, scheinen die Patrioten bereits an den Fässern gewesen zu sein, ehe der Rest von den Junkern dem Direktorium verbürgt wird! Ein stattlicher Weinkeller war übrigens nötig, um 500 Eimer zu lagern — es war die Ernte von zwei bis drei Jahren. Vater Wyss am 3. August 1800: «Gestern langte eine inkomplete, gegen 50 Mann bestehende Franz. Compagnie hier an. Zwölf davon sind im Schwabach einquartiert und nach acht Tagen werden wir hier im Feld diesere zu bewirthen die Ehre haben, die werden vermutlich aus Teutschland zum Ausruhen uns geschickt sein, die mageren Zeiten werden noch ein wenig Sparsamkeit gegen diese Ehrengäste veranlassen. Anhaltende Tröchne verhindert das Wachstum, niemals ist so wenig Futter für das Vieh gewachsen. Emd ist so viel als nichts, das Wenige muss grün gefuttert werden. Das Heu aus dem Oberland wäre um leidlichen Preis zu erhalten gewesen, aber die Wucherer am See bemächtigen sich des Vorraths und haben den Preis schon beträchtlich erhöht. Einem von Thalwil habe ich 200 Ctr. à 1 Guld. 20 Batz stalliegend gekauft und noch 200 Ctr. bestellt. Heute ist Kirchweih in Meilen, welches hohes Fest Statth. Pfenninger und übrige vornehme Patrioten von Stäfen, Meilen, Wädeschwil und Horgen auf der Bocken feyern.» Am 31. August 1800: «Man muss die Augen von den Menschen und besonders von unserem Vaterland abwenden und in eine bessere Zukunft heften, wenn man sich nicht von dergleichen Jammer und Kummer zernagen lassen und für manches Gute, das man noch selbst in diesen jammervollen Zeiten gemacht hat, unempfindlich werden will». Aber er ist zu sehr dem Geschehen verbunden, als dass er Augen und Ohren verschliessen könnte; auch verbindet ihn die politische Karriere des Sohnes immer wieder mit den Augenblicksereignissen, wovon seine zahlreichen Briefe an den Sohn zeugen. Die neue Verfassung von 1798 hatte für das ganze helvetische Gebiet den Zehntenloskauf in Aussicht genommen, und die Seegemeinden begehrten seitdem die strikte Aufhebung dieser alten Feudallast. Aber inzwischen war die provisorische Regierung in Zürich bereits wieder gestürzt worden; Monate des Seilziehens, des Tagens und Petitionierens waren verstrichen, bis schliesslich der «aristokratische 36 Heinrich Simon 1805—1860 Besitzer von Mariafeld 1850/51 (Archiv Mariafeld) Dr. François Wille 1811—1896 (Lithographie von Otto Speckter 1839) ElizaWille geb. Sloman 1809—1893 (Oelbild 1840 von Emile Boratinsky, Familienbesitz Mariafeld) Arnold und UlrichWille mit ihrer Tante Harriet Bissing 1851 Heissporn», wie man ihn auf dem Lande nannte, Junker Hans Reinhard zum Kantonsstatthalter gewählt wurde; seine Mutter war Wys- sens Schwägerin. Nun blies den freiheitlichen Patrioten ein feindlicher Wind aus der Stadt. Reinhard sprach in harten, leidenschaftlichen Worten gegen den einst von Lavater gelobten Kantonsrichter Wunderli aus der Gerwe Meilen, nannte ihn listig und intriguenfähig, aber roh und unkultiviert — und drängte ihn aus dem Kantonsgericht weg. Reinhard verlangte energisch die Einbringung der alten Zehnten, da die Regierung auf diese ergiebige Einnahme nicht verzichten konnte. Am 26. Juli 1801: «Das Zehntendekret steht hier in üblen Leumbden. Zu Herrliberg und wie man sagt auch in anderen Gemeinden dieses Bezirks wurde es verwiesen, nur in Meilen nicht. Gestern oder vorgestern haben Abgeordnete den Präsidenten Dolder in Schrecken gesetzt mit der Aeusserung, dass sie den Zehnten nicht geben wollten, die Municipalität dagegen Vorstellungen machen solle mit der Aeusserung, entweder müsse der Zehnte aufgehoben oder die Sacramenten, so ihnen das versprochen, müssen das büssen. — Man sieht so ziemlich viel silberne Steckenknöpfli hin- und hergehen. So bezeichnet man die Hohen und Grossen auf hiesigem Boden, die Sache selbst ist zu gerecht, als das sie nicht starken Widerstand finden sollte, bei der wenigen Festigkeit der Regierung.» (6. Oktober 1801:) «Der Distrikt am See hat Ehrengesandte nach Bern geschickt zur Hintertreibung der Zehntenschätzung... Boller im Wurmspach und ein Glaser Wunderli sind unsere Ambassadeurs, freilich ohne Vorwissen der Gemeinde, aber auf ihre Kosten.» — Am 20. Mai 1802 wurde eine den Loskauf der Grundlasten verbürgende Verfassung dem Volk zur Abstimmung unterbreitet und angenommen; es war die erste eidgenössische Volksabstimmung. 1803 trat die helvetische Regierung zurück und Napoleons Meditationsakte brachten vorerst Ruhe ins Land. So wandte sich der Altherr im Meilerfeld seinen Büchern und seinen Reben zu. Er konnte es mit Genugtuung tun; sein Sohn David war, nachdem er helvetischer Senator und nachher Mitglied der provisorischen Regierung gewesen war, nun wieder ein Ratsherr von der Schuhmachern, Jkr. Hans Reinhard, sein Neffe, war Bürgermeister der Stadt, und manches schien der alten Ordnung entgegenzustreben, ohne freilich gerechtenFortschritt aufzugeben, dem auch Jkr. Wyss durchaus zugewandt war. Es ging ihm darum, dass eine Regierung integer und ehrenhaft sei, nicht darum, überholte Vorteile zu bewahren. Sein Landgut nannte er in dieser Zeit oft sein «Tusculum», in Anlehnung an Ciceros Ruhesitz ausserhalb Roms; der Name wurde 41 schliesslich so bekannt, dass er in späteren gedruckten Quellen erscheint.37 (4. August 1804:) «Es sind keine dauernden Sommertage da, die Reben werden gelber, Zürichgewächs ausgenommen, gibt es noch ordentlich Trauben». Schon damals waren die Wyssischen Weinberge vornehmlich mit Zürichtrauben, teils mit Clevner angepflanzt. Der Rat von Zürich hatte das Austun der herkömmlichen Knollreben angeordnet. Eine letze Briefstelle gibt einen Rückblick aus den lieben Weinbergen auf Politik und Vaterland (25. Juli 1805): «Die Trauben sind in Rücksicht der Hoffnung der Reife, wie unsere geplünderte Eidgenossenschaft in Rücksicht der Hoffnung auf ihre Independenz und Neutralität in vielem gleich. Oefter kommt Sturm und Regen, dann wieder ein schöner Tag, der zu mehreren Hoffnung gibt und dann wieder durch kalte Winde und Regengüsse dieselbe zerstört.» Der Altherr ist inzwischen kränklich geworden. Er spricht oft von mühsamem Gehen nach Dorfmeilen, freut sich aber an den Enkeln, die ihn und die Escherin vom Ramenschül umgeben. 1808 setzen die Alten ein gemeinsames Testament auf und bestimmen das Meiler Landgut dem ledigen Sohn Jkr. Oberst Diethelm, es dabei auf 18 000 Gulden taxierend, d. h. zu einem gewaltigen Wert, verglichen mit der «ohne Werth»-Taxierung zur Escherzeit. «Unter obbestimmtem preiss des Landguts soll begriffen seyn und dazu gehören, die Kirchenörter zu Meilen und Herrliberg, das Kuchigeschirr, die Sessel, Spiegel und dort befindtlichen gemälde, die bettstetten und laubsäke, samt den Tassen, Teller und trotengeschirr, das übrige aber samt dem Wein in die gemeinsamen Sachen gehören.» Wie sehr habe ich bei diesem Testament an meine liebe verstorbene Mutter denken müssen, die beim sonntäglichen Kirchgang oft die Schritte nach Herrliberg lenkte, weil die dortige Kirche näher war. Immer hatte sie dabei ein schlechtes Gewissen, weil sie sagte, Mariafeld sei von altersher nach Meilen kirchgenössig. — Und jetzt wissen wir, dass die Escher und Wyssen sich ihr Landleben auch in dieser Hinsicht einzurichten wussten: zwei Kirchenörter, sodass kein geistlicher Herr und keine Gemeinde den Kirchgang zu kontrollieren vermochte! Von den Gemälden, die erwähnt werden, möchte ich eines hervorheben: Conrad Gessner, der beliebte Zürcher Pferdemaler, hatte für den obern Festsaal ein wandfüllendes Bild gemalt, das sechs Pferde, im Gewitter von einem Bären überfallen darstellt. Vor diesem Gemälde haben die kleinen Wyssli, Ulrichen, Moussons und alle ihre Nachfolgekinder bis zur Gegenwart staunend oft das Essen vergessen. 42 Möge es, um die Schilderung der Zeit wahrheitsgetreu zu machen, noch erlaubt sein, darauf hinzuweisen, dass der Herr Altbürgermeister und die Seinen nicht etwa auf Rosshaar und Federn gebettet lagen, sondern auf bäuerlichen Laubsäcken. Wenn wir uns fragen, warum der ledig-kinderlose Junkersohn das Landgut bekommen sollte, dann gibt das Testament auch hierüber Antwort: «Dieserem unserem Zweitältesten L. Sohn, den keine häuslichen pflichten von dem öfteren genuss des landlebens und nötiger Besorgung des guten Zustands des guetes abhalten, sollte das Landgut zu Meilen gehören.» Auch als die Junkerin 1810 gestorben war, ging der alte Magistrat weiterhin nach Meilen hinaus. Mit Freude und Genugtuung durfte er noch das Ende der französischen Bevormundung erleben, und seinen Sohn 1814 als Zürcher Bürgermeister, seinen Neffen Reinhard als Landamman der Schweiz im Amte sehen. Die eigentliche Restauration, den Versuch, ein durch Fortschritt und Freiheitssinn gedrehtes Rad zurückzudrehen, hat er nicht mehr erlebt; er hätte trotz seiner Herkunft und seiner traditionellen Staatsidee dieser Wiederherstellungszeit skeptisch gegenüber gestanden. Am 26. Januar 1815 entschlief der Cicero des Meiler Tusculums in seinem Stadthaus an der Thorgasse. Jkr. Reinhard schrieb über ihn: «Er war nur kurze Zeit misskannt und wegen seines Gleichmuts und wahren Anteiles an dem Wohl des Vaterlandes unter allen Formen und Personen, allgemein bewundert und verehrt». Er sollte nicht der einzige der Männer des Landguts im Meilerfeld sein, die durch Zeiten des Misskanntseins gingen. Ein wichtiges Denkmal erinnert noch heute an den letzten Bürgermeister des «ancien régime» und ist weithin den See hinauf und hinunter sichtbar als wirkliches Wahrzeichen des Wyssischen Tusculums: die Mariafelder Platane. Dieser herrliche Baum ist ums Jahr 1800, zu des alten Bürgermeisters Zeiten gepflanzt worden, durch einen jungen Wetzwiler Bauernsohn der Familie Zollinger, Grossvater jenes ehrwürdigen Weinbauern Jakob Zollinger, der 1882 auf den Mariafelder Hof kam und vielen von uns mit seinem mächtigen Bart noch in lebendiger Erinnerung ist. Die Platane, so sagte mein Vater oft im Spass, verdanke ihre Grösse und Gesundheit dem Umstand, dass der Auslauf aus dem naheliegenden Felsenkeller durch ihre Wurzeln führt und sie also, mit manchem Tropfen Seewein getränkt, emporgewachsen ist. Sie ist die grösste ihrer Art weitherum im Lande, wohl einer der höchstgewachsenen Bäume der Ostschweiz überhaupt. Aus dem Nachlassinventar des Junker Bürgermeister hat sich ein alter Wein-Rodel der Teilung erhalten, wo wir mit Staunen feststel- 43 len, dass noch 1815 ein namhafter Bestand in Bouteillen und Fass vorhanden war vom Jahrgang 1779. Es ist dies deshalb beachtlich, weil ein 36jähriger Wein am Zürichsee wohl heute eine seltene Ausnahme ist — besonders, weil er leider meist vorher schon ausgetrunken ist. Während der Franzosenzeit war dieser Wein nicht vorhanden... war er versteckt oder war er falsch deklariert? Sei dem, wie ihm wolle, bestätigt aber finden wir, was unser Ramenschül-Escher 130 Jahre früher schon gesagt: «Ich halte darvor dass um den gantzen Zürich- See herum, in keiner Pfarr mehrere Weinräben zufinden als aber in diser, und wachset daselbst der Edleste und beste weisse Wein (so vast einen Gust haben sollte wie der Ungarische Tokayer Wein, lauth eines Ungarischen Herren selbs eigner Bekanntnuss) und auch dise Tugend an sich hat, dass man ihne zehen bis zwantzig und mehr Jahr lang behalten kan: wird desswegen von FrÖmbden und Einheimischen heff- tig begehret und um eine grosse Summa Gelts bezahlet». Junker Diethelm Wyss, der Sohn, trat nun in die Stapfen des Verstorbenen und war bestrebt, den Geschwistern, Neffen und Nichten das Haus in vertrauter Weise zu bewahren und offen zu halten. Den Haushalt im Feld liess er sich von seinen Nichten, den Töchtern des Chorrherrn Ulrich führen. Er war der Jugend ein partriarchalisch-ge- liebter Gastgeber. Der Junker wohnte, wie schon sein Vater, mehrheitlich in der Stadt. 1803 wurde er Ratsherr und 1821 Vizepräsident des Stadtrats. Leider sind von ihm und seiner Zeit nur wenige Aufzeichnungen erhalten geblieben. Die Familie wohnte in und um Zürich; so wurden wenige Briefe geschrieben. Immerhin fanden sich unter den Papieren des Professors Friedrich v. Wyss (1818—1907), jüngerem Sohn des zweiten Bürgermeisters, einige Jugendbriefe an die Mutter: «Mme. de Wyss née de Mulinen Meilen, 24. Herbstmt. 1832 .Wir bringen unsere Zeit hier recht amusant zu, Morgens werden 2 Stund gelernt, dann geht man in die Reben, wimmt sowohl in das Maul als in die Gelte die äusserst vortrefflichen Trauben, speist dann gut zu Mittag, schiesst nach dem Essen hinten im Garten, wimmet wieder, trinkt zu Abend, lernt wieder, spielt Karten etc. etc... Heute wurde das untere Horn und zwei Kammern des obern gewimmet, im untern gab es glaub ich 26—27 Tausen Trauben, in den zwei Kammern des obern 10. In diesem Augenblick trottet man die Trauben des untern Horns. Köstlich sind doch diese, noch kein Jahr hab ich bessere gegessen, besonders die wenigen, die es von den ehemaligen Reben Konrads gab, sind süsser als Zucker. Ihr werdet Euch gewiss "recht an den herrlichen Zürcher-Trauben im Grosshuderst erlaben.» 44 Die Reben im untern und oberen Horn, von denen die Rede ist, begegnen uns in diesen Briefen zum ersten Mal. Es war nicht möglich festzustellen, ob damit Kammern im heutigen Horn gemeint sind oder ob dieser Flurname anderwärts auch gebräuchlich war. «Frau Wyss née Mülinen Meilen, 18. October 1833. .Das Wetter ist leider so schlecht, dass Mittwoch und heute von Trauben lesen keine Rede sein konnte. Gestern machte man im untern Horn 7 Wagen voll (63 Tausen) die Anzahl der Trauben ist erschrecklich gross. Freilich an Güte geht ihnen dafür vieles ab, denn nebst einigen guten findet man doch immer viel saure. das Projekt für die Komedie am Krähhahnen haben wir wegen Mangel an Personen fallen gelassen, hingegen werden wir wahrscheinlich Charaden spielen...» Wie oft haben wir als Buben 100 Jahre später beim Wümmen mitgeholfen! Ich durfte dazu sogar hie und da eine uralte kupferne Tause aus der Eingangshalle in die Reben tragen, wobei der Stolz auf dieses Unikum mich dafür entschädigen musste, dass es (da rund — statt oval geformt) sehr schlecht am Rücken zu tragen war. Und die Krähahnen-Abende bei Hubers drüben im Lehenhaus! Was gehörten nicht alles für Scherze dazu, wie Tellerruessen, Giriginggel und andere mehr. Wir durften an diesem Abend viel Sauser trinken. «Frau Altbürgermeister v. Wyss Meilen, 6. October 1834. .Mit dem Krähhahnen sieht es sehr windig aus; denn das Wim- men (dieser echte Zürcherausdruck sei mir erlaubt) geht ausserordentlich langsam. Heute vermochte man nicht einmal das untere Horn fertig zu machen, denn es hat erschrecklich viel, zwar da mitunter auch saure und fade Trauben. Ihr werdent den Most vom Gross- huderst versucht haben, nicht wahr der ist herrlich. Man konnte es aber auch erwarten, wenn man die Trauben betrachtete, die eher rothen Moslem als Zürichtrauben ähnlich sahen. Es wird im Gross- huderst wahrscheinlich 26 Eimer geben.» Nicht nur die Neffen und Nichten, auch die Geschwister des Junkers blieben dem alten Landgut im Feld anhänglich verbunden: Im Jahr 1835 kaufte der Schwager, Chorherr Ulrich, Vater der hausführenden Töchter, das benachbarte Landgut zum «Feldegg». Durch die Auflösung des Chorherrenstifts am Grossmünster im gleichen Jahr, war er aus seiner bisherigen Tätigkeit ausgeschieden. Und im selben Sommer 1835 malte R. Bühmann das reizvolle Erinnerungsbild, das wir dieser Skizze voranstellen (Titelbild).38 45 1827 war Salomon Wyss, der Escher-Wyss-Mitgründer, gestorben; im August 1839 folgte ihm der jüngere Bürgermeister im Tode. Wenige Monate vorher hatte der Jkr. Oberst das Gut in Meilen verkauft. Wir wissen aus Briefen, dass er schon zwei Jahre kränklich war und das Gut verkaufen wollte. Warum hatte keiner der Neffen die Nachfolge antreten wollen? Wir ahnen es nicht. Die alte Feudalzeit der Junker und Ratsherren ging mit dem Verkauf zu Ende. 1837 war der jüngere Bürgermeister zu einem letzten «längeren Aufenthalt in Meilen, wo der Bruder in dem alten Familiengut den Geschwistern und den zahlreichen Neffen und Nichten sein gastfreundliches Haus als Familiensammelpunkt stets offen hielt».39 Die Ryffel, Rappard und Simon 1839—1851 Es scheint fast eine Ironie, dass der Käufer des Landguts ein Stäfner war, ein Sohn jener Landpatrioten, die 40 Jahre früher «in Jast gebracht» am Haus vorbeigeeilt waren, den Kappelerbrief aus Küsnacht zu holen. Mit diesem Bürger vom See sollte die neue Zeit ins Feld einziehen. Johann Emil Ryffel, 1807 als Sohn des Krämers Ryffel im Spittel in Stäfa geboren, war als junger Mann nach Frankreich und später nach England gegangen. Dort hatte er sich mehrere Jahre als Erzieher und Privatlehrer betätigt. Er sagt uns selber «he had spent several years in England, first as headmaster in one of the best Academies and afterwards as Private tutor».Dann war Ryffel im Mai 1833 nach der Schweiz gekommen, begleitet von 12 englischen Jünglingen «who had been entrusted to his care at his departure from England». Es scheint, dass er dann in Uetikon am See ein «Institut» eröffnete, vielleicht im Haus «zum Langenbaum». 1834 heiratete er in Norfolk die siebzehnjährige Maria Pilkington Drummond und kehrte mit ihr nach der Schweiz zurück. Von der letzten noch lebenden Enkelin konnten wir erfahren, dass ein leider im vergangenen Krieg in Hannover verbranntes Jugendbildnis die Grossmutter als besonders schöne Frau zeigte. Nach sechs Institutsjähren in Uetikon, während dejrer anscheinend das Unternehmen blühte, kaufte Ryffel das grosse Herrenhaus im Feld. Er baute es für seine Zwecke in grosszügiger Weise um und liess sich die Mittel hierzu von Basler Geldgebern zur Verfügung stellen. Im Saalanbau von 1753 wurde die Trotte zu Schul- und Wirtschaftszwecken umgebaut. Gegen den Garten entstand ein dreifenstriger Schulsaal, mit von schlanken Gusseisen-Säulen getragener Decke. Stehpulte in verschiedener Höhe boten für die 40 Schüler Arbeitsplätze. 46 Oben im Altbau und im Saal wurde so gut wie nichts verändert. Im ganzen Haus wurde eine moderne Warmluftheizung mit Befeuchtung eingebaut, die damals am See wohl ein Novum war. Das alte Badhaus mit dem Gartensaal wurde um zwei Etagen aufgestockt und durch hof- und gartenseits vorgebaute Säulenhallen mit dem Haupthaus verbunden. Während das Badhaus seine Zweckbestimmung beibehielt, wurde der ehemals fröhliche Gartensaal, wo der Abt von Einsiedeln pokuliert hatte, zu einer anglikanischen Kapelle umgebaut. Der Stil der Zeit, einzelne spätgotische Bauteile dieses Gebäudes und die neue Zweckbestimmung animierten zur Verwendung neugotischer Fensterformen. Sie erinnern heute in skurriler Weise an die Institutszeit und wir nennen den alten Gartensaal meist noch «Kapelle». In den beiden neuen Ober-Etagen waren vierzig enge, individuelle Schlafkammern links und rechts eines breiten Mittelgangs angelegt. Das Lehenhaus wurde für die Professeurs hergerichtet. Das malerische Mansardendach musste weichen. Man erkennt heute noch, wie das Haus vor diesem Umbau ausgesehen hat. Die grosse Freitreppe an der Seefassade des Altbaues wurde mit verkürzter Plattform an die nördliche Hoffassade versetzt, wo sie noch heute steht; die nussbaumene Biedermeier-Haustüre stammt von diesem 1839er Umbau. Im Hof entstand damals das romantische Eck- treppchen im Winkel der neuerdings zusammengeschobenen Häuser. Das Wyssisch-Eschersche Lustgärtlein auf der Seeterrasse wurde zu einem Sportplatz im Geiste Turnvater Jahns: Barren, Schaukeln, Kletterseile und Kegelbahn standen da, wo früher das Kräutergärtlein des Junkers Amtmann gewesen war. Auf der Terrasse vorn über der Strasse wurde das Sitzmäuerlein durch einen Staketenhag ersetzt und diesem entlang die rotblühende Kastanienallee gepflanzt, die heute ein Wahrzeichen des Landgutes ist. Ryffel nannte sein Establishment for young Gentlemen «Mariafeld» zu Ehren seiner hübschen jungen Frau. (Dies war nicht sein einziges sinniges Namensspiel,. : seine teils in Uetikon, teils in Meilen, teils in England geborenen elf Kinder nannte er in alphabetischer Reihenfolge Albert, Berta, Charles, Donald, Emile, Fanny, Gustav, Henry, Julius, Kate und Louis). - Im übrigen war die Hausbenennung eine Notwendigkeit für das Institut und lag auch etwas auf der Hand. 20 Jahre früher hatte der Käufer der Kilchspergerschen «hinteren Schipf», Graf Christian v. Benzel-Sternau, jenes Haus nach seiner Frau geb. Freiin v. Seckendorf «Mariahalde» genannt. Anlässlich dieses gewaltigen Wechsels der Zweckbestimmung des Hauses ist manches an altem Mobiliar in alle Winde zerstreut, teils 47 Vue de 1 tti.sfiftit Mariafeld sur le bord du lue de Zuric Place pour les exercices du corps ef façade du dorfoir. Aus Ryffels Prospekt 1839 (Archiv Mariafeld) N'I.La cour. N' 2.Entrée de lamaison principale ,N*d.Maison des professeurs. N°d.Mauere Salle d'étude «Mariafeld near Meilen on the lake ofZurich, an establishment for young gentlemen» in die Nachbarschaft verkauft worden. Mein Urgrossvater François Wille hat dann aber spater, besonders aus dem ehemals Zieglerschen «Grünen Hof» im Feld, mehrere Alt-Mariafelder-Möbel erworben und ins Haus zurückgebracht. Johann Emil Ryffel hatte sein Institut als strenge Schule etabliert. Knaben und Jünglinge von 8—18 Jahren, vornehmlich aus England, wurden hier geschult und erzogen, wobei Ryffel gute Grundsätze hatte. Er wollte nicht nur Schulwissen vermitteln, sondern in erster Linie den Charakter seiner Pflegebefohlenen fördern. Im Sommer standen Schüler und Lehrer um 4.30 Uhr auf, begannen die Schule um 5 Uhr, ab 8 Uhr Gottesdienst (morning prayer), Morgenessen und Pause bis 9 Uhr. Weitere drei Stunden Unterricht bis zum Mittagessen um 12 Uhr folgten. Nachmittags von 2 bis 4 wieder Stunden, dann Vieruhrbrot und Pause bis 5 Uhr, wo der Unterricht erneut bis 7 Uhr fortging — endlich Abendessen und Freizeit bis zum Abendgebet um 9 Uhr. Im Winter begann der Unterricht um 6 Uhr, dafür war abends von 8 bis 9 noch eine Lektion. Die Fächer umfassten: Religionslehre, alte und neue Sprachen und übrige Gymnasialfächer, ferner Buchführung, Musik, Schwimmen, Reiten und Fechten. Die Kurse begannen an Ostern und im Herbst; während der kurzen Sommerferien wurden Wanderungen in der Schweiz durchgeführt. Im Herbst waren «8—10 holidays for the vintage of the vineyards of the establishement, in which the pupils usually take part» — so waren an die Stelle der patrizisch-zürcherischen Wimmer nun kleine Lords aus England getreten Das jährliche Schulgeld war Pfd. St. 40— für die Jüngern, Pfd. St. 50.— für die Aelteren. Daran konnte der schon durch die Einrichtung des Instituts stärkstens engagierte Direktor Ryffel nun wirklich nicht reich werden. Immerhin scheint die Schule anfänglich floriert zu haben. Dann aber stockten die Mittel, die Schulden drückten und im Februar 1848 kam es zum unvermeidlichen Zusammenbruch. Schon nach weniger als 10 Jahren wechselte das ehrwürdige Wyssen-Gut in die Hand der Kreditoren des Konkursiten. Junker Oberst Wyss hat es nicht mehr erlebt; er war schon 1845 gestorben. Die neuen Herren waren mehrheitlich vornehme Basler. Johann Emil Ryffel, der uns als im sympathischen Sinne leichtsinnig geschildert wird, hat sich noch zwei Jahre in der Schweiz aufgehalten. Mit dem viel besser fundierten späteren Ryffelschen Knabeninstitut in Stäfa hat er nichts zu tun gehabt; vielleicht hat er nur dem fernen Namensvetter die Idee gegeben. Er selber kehrte 1850 nach England zurück und lebte dort als schlichter Sprachlehrer bis zu seinem Tod 50 1875. Seine Enkelin weiss aus der Familienüberlieferung zu berichten, dass Grossvater John Emil ein begabter, origineller Mensch gewesen sei, der aber nicht immer mit beiden Beinen in der nüchternen Wirklichkeit gestanden habe. Die Kreditoren, Christ, Stähelin, Bischoff, Vischer und Merian und andere «konnten das Gut, das sie für 20 500 Zürcher Gulden erstanden hatten, nicht behalten; ausserdem drückte die Revolutionszeit die Verhältnisse dergestalt, dass sie es gleichen Jahres um einen viel geringeren Preis an den Meilener Löwenwirt Kaspar von Tobel verkauften. Doch als es zum Zahlen kam, hatte dieser das Geld nicht disponibel, fing Prozess mit den Baslern an; das Gut wurde inzwischen vom Gericht zwei Jahre sequestriert, herabgebracht und durch diese und mannigfache concurrierende Verhältnisse kam es, dass40 «zwei deutsche 48er Flüchtlinge, deren damals viele in der neutralen und freiheitlichen Schweiz um Asyl gebeten hatten, als Käufer auftraten. Conrad v. Rappard und Heinrich Simon kauften Mariafeld um 8750 Zürcher Gulden (Kaufbrief Meilen 15/20. März 1850). Beide bezogen das Haus zusammen und bewohnten, der eine das untere, der andere das obere Stockwerk. Rappard entstammte einer Familie, die ihre Herkunft aus Rappers- wil herleitet, aber seit drei Jahrhunderten in den Niederlanden und am Niederrhein ansässig war.41 1806 geboren, hatte er Jurisprudenz studiert, sich dann aber unter dem Einfluss des seinem Vater befreundeten Alexander v. Humboldt den Naturwissenschaften zugewandt. So wurde er ein Pionier des Braunkohlenbergbaus der Gegend um Frankfurt an der Oder, von wo er auch 1848 ins Frankfurter Parlament gewählt wurde. Nach dessen Zusammenbruch erfuhr er auf seinen Gütern, dass gegen ihn ein Haftbefehl wegen angeblichen Hochverrats vorlag, vor dem ihn nur eiligste Flucht retten konnte. So kam er im Sommer 1849 nach Zürich, wo er seinen Freund und Mit-Frankfurter Heinrich Simon traf und mit ihm später nach Mariafeld zog. Ein kurzes Jahr beschäftigte er sich da mit Zoologie und vergleichender Anatomie; dann drängte sein lebendiger Geist aus dem Exil weg nach Paris zum Studium. Wenig später kehrte er wieder in die Schweiz zurück und gründete das Mikroskopische Institut Wabern bei Bern. Dieses gelangte bald zu grossem Ansehen und belieferte Schulen und Museen mit mikroskopischen Präparaten. Obwohl er längst von Mariafeld völlig getrennt war, interessiert uns Rappards weiteres Ergehen, weil wir keinem andern als ihm die Erhaltung der herrlichen Giessbachfälle bei Meiringen verdanken. Er kaufte kurz entschlossen das mit Abholzung bedrohte Areal und errichtete dort 51 1856 das erste grosse Hotel des Berner Oberlandes. Aber mehr noch verdanken wir dem vorübergehenden Mariafelder Gutsherrn, er holte den Lehrer und Pyrotechniker Hamberger nach Brienz, um Wasserfälle, Hotel und See mit Feuerwerk und bengalischen Licht zu verschönern. Damit gab er die Idee zur dortigen Hambergerschen Raketen- und Feuerwerkfabrik, von der noch heute die ganze Schweiz ihr Festtagsfeuerwerk bezieht. Ob Rappard noch in späteren Jahren einmal nach Meilen gekommen, ist ungewiss — sicher ist, dass er François Wille gut kannte und vielleicht auch dem späteren General während dessen Thuner Artillerie-Zeit begegnete. Er starb 1881 in Interlaken. August Heinrich Simon, der Mitkäufer von 1850, war 1805 in Breslau als Sohn eines angesehenen Kaufmanns geboren. Er studierte Jurisprudenz und bestand das Brandenburgische Referendarexamen. In den 40er Jahren war Simon der Führer der Breslauer Liberalen und Vorkämpfer des Rechtsstaates. Während der Märzrevolution wurde er ins Vorparlament der Frankfurter Paulskirche gewählt. Dort war er eines der angesehensten Mitglieder der Linken. Nachher war er noch Mitglied des «Rumpfparlaments» in Stuttgart und flüchtete nach dessen Zersprengung in die Schweiz. In Zürich traf er Rappard. Die beiden Flüchtlinge versprachen sich mehr Sicherheit, wenn sie eigenen Grund und Boden nachweisen konnten. In Mariafeld schlössen Rappard und Simon zunächst mit einem Baumeister einen Kontrakt und brachten alle Baulichkeiten in guten Zustand. Es war nötig, denn das Gut war zwei Jahre lang gänzlich vernachlässigt worden. Ende 1850 bat Simon aus Mariafeld François Wille, in Hamburg für sein und Rappards Institut in Wabern zu werben. Er sagt dabei — das mag die Meilener interessieren — : «Jeder der hier diese Objekte (mikroskopische Schnitte) gesehen, ist hoch erfreut, so namentlich der alte Oken ist ganz entzückt und ich hoffe, dass der Name dieses Nestors der deutschen Naturforscher dafür bürgen soll, dass in der Tat Tüchtiges in das Leben tritt». Am 25. Februar 1851 schreibt Simon dann von seiner Sorge, die Schweiz könnte dem Druck der deutschen Fürsten nachgeben und die Flüchtlinge ausliefern und fährt weiter: «Ich habe hier ein kleines Besitztum fast ohne Anzahlung gekauft, müsste ich weg, so dürfte schon hierdurch der grösste Teil meiner kleinen Ersparnisse in die Lüfte gehen, darum will ich rechtzeitig verkaufen. Vorläufig sage ich Ihnen das für einen passenden Hamburger. Die Lage ist paradiesisch, ent- 52 schieden eine der schönsten des Zürcher Sees, herrliche Nah- und Fernsicht, hinter der Besitzung sanft ansteigende Weinberge, die sich mählig bis zu einem der schönsten Aussichtspunkte des Kantons erheben. Wir haben angenehme Bäder von der Gondel aus. In den Besitz haben mehrere Generationen eines Zürcher Patriziergeschlechtes Summen gesteckt. Das Herz ist mir ein wenig in mein Tusculum hineingewachsen, denn ich schulde diesem liebenswürdigen Erdenpunkte vielen Trost in vielen Trauerstunden und viele reine Freude». François Wille, der Auslandschweizer, hatte schon vor Erhalt dieses Briefes den Plan erwogen, Hamburg zu verlassen, ohne noch zu wissen, wohin er gehen wollte. Nun interessierte er sich für den Kauf Mariafelds. Am 15. April schreibt Simon zurück: «Wenn es Ihnen und Ihrer Frau nicht zu einsam, würde ich Ihnen nach Ihrer Mitteilung zureden. Mein Neffe und Mündel (9j ährig) ist in zweiter Klasse der unweit liegenden Dorfschule. Ich war vorgestern im Examen und frappiert von dem Wissen sowohl als vor allem der Precision und Klarheit des Wissens der Kinder, nicht die Spur von Eintrichterung, dies in Beziehung auf Ihre Jungen. Ich verkaufe das Gut für 10 000 preussische Thaler. Ich würde es gerne in Ihren Händen wissen. Goethe sagt von einer seiner liebsten Frauen: Sie war den Männern ein Augentrost. Ich wende das von Ottilie auf Mariafeld über; es ist ein Augentrost!» Wille antwortet am 3. Mai und fragt nach den Möglichkeiten gesellschaftlichen Umgangs und einer Beschäftigung — kurz, nach dem Leben dort. Simon schreibt am 16. Mai ausführlich zurück; einige Stellen mögen interessieren, zeigen sie doch, wie sehr Simon Land und Leute in kurzer Zeit kennen und schätzen gelernt hatte: «Nordamerika und die Schweiz und überhaupt jedes Land, wo das Volk herrscht, sorgt naturgemäss zunächst dafür, dass alle Brod haben. Die Schweiz steht Nordamerika darin völlig gleich, dass die Arbeit einen ganz verschiedenen Charakter wie in Deutschland hat, die Handarbeit ist hier in Ehren. — Die Schweizerwerdenwegen ihres alemannischen Dialekts, weshalb sie im Gespräch mit den Deutschen geniert sind, anfänglich oft geistig unterschätzt und der hochnäsige Berliner beispielsweise, bei dem alles nach aussen fährt, hat keine Ahnung davon, dass hinter dem schlichten Manne hier oft zehnmal mehr tiefer Gehalt als in ihm, dem Ueberfeinen. Ausserdem vergeben es viele Deutsche nicht, dass die kleine Schweiz mit ihren einfachen aber praktischen Bewohnern das glücklich erreicht hat, was wir noch nicht erreichen konnten, ein vernunftgemässes staatliches Leben. — Für Beschäftigung braucht hier dem gebildeten Manne nicht bange zu seyn. Für sie denke ich mir 53 in literarischer Beziehung als höchst interessanten auf Jahre ausreichenden Stoff die Schweiz selbst und deren Vermittlung für Deutschland. Die Schweiz würde mit ihren freien Institutionen einen weit grösseren Einfluss auf Deutschland haben, wenn sie in Deutschland gekannt wäreDen geselligen Umgang anlangend, haben Sie inZürich einen grossen Kreis, in dem zum Theil bedeutende Männer, namentlich auch solche, die auf reicher Erfahrung und Besitz ausruhen und nur noch der Wissenschaft leben. Im Sommer ist hier Weltverkehr; Europa und Amerika ziehen durch. Aber selbst hier in Meilen dürften Ihnen einzelne tüchtige Menschen nicht fehlen. Als mir